Ukraine: Waffenruhe in Trümmer geschossen

Ukrainische Einheiten ziehen aus Debaltsewe ab – ob der Friedensplan noch gilt, ist ungewiss.
Separatisten erobern Debalzewe. Steht der Friedensplan vor dem Ende?

Alexander Sachartschenko ließ es sich nicht nehmen, persönlich beim Kampf um Debalzewe dabei zu sein – und wurde verwundet. Vom Krankenhausbett sprach der Chef der Volksrepublik Donezk (DNR) zum russischen Sender LifeNews und kalmierte seine Verwundung: "Nichts Schlimmes", ein Granatsplitter. Sachartschenko hatte das Waffenstillstandsabkommen von Minsk vor genau einer Woche mitunterschrieben. Ob dieses Abkommen noch besteht, ob es noch Gültigkeit hat, das war die große Frage am Mittwoch – nachdem pro-russische Milizen am Dienstag eine Großoffensive gegen Debalzewe gestartet und die Stadt am Mittwoch eingenommen hatten.

Rückzug unter Beschuss

In den Morgenstunden des Mittwoch hatten die ukrainischen Verbände mit dem Rückzug aus der praktisch eingekreisten Stadt begonnen. Am Nachmittag hieß es, 80 Prozent der ukrainischen Einheiten seien aus Debalzewe abgezogen worden. Soldaten berichteten von massivem Beschuss auf dem Weg aus der Stadt. Aus Debalzewe selbst wurden noch vereinzelt Kämpfe zwischen versprengten ukrainischen Einheiten und – laut vielfachen Augenzeugenberichten – regulären russischen Verbänden gemeldet.

Wie viele Tote es beim Kampf um die Stadt gab (bisher starben in dem Konflikt mehr als 5000 Menschen), ist nicht bekannt. Die DNR meldete, Tausende ukrainische Soldaten hätte man getötet, Hunderte gefangen genommen. In der nahe gelegenen Stadt Artemiwsk trafen am Mittwoch nach und nach Leichensäcke und Verwundete ein. Präsident Petro Poroschenko reiste in die Region, um mit Militärs zu beraten. Er soll letztlich den Befehl zum Rückzug gegeben haben. In den ukrainischen Streitkräften keimt derweil Kritik, dass diese Entscheidung viel zu spät getroffen worden sei.

Bei seinem Besuch in Budapest hatte Russlands Präsident Wladimir Putin noch am Dienstag die ukrainischen Truppen in Debalzewe zur Kapitulation aufgerufen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow betonte indes, dass mit Ausnahme Debalzewes der Waffenstillstand entlang der gesamten Frontlinie mehr oder weniger halte. In einigen Regionen bestehe sogar die Bereitschaft der pro-russischen Verbände, schwere Waffen gemäß des Minsker Abkommens abzuziehen. Debalzewe dürfe nicht zum Vorwand werden, so Lawrow, den Friedensprozess scheitern zu lassen. Zugleich warnte er vor Waffenlieferungen an die Ukraine.

Die neue Gewalt belaste und verletze das Abkommen jedenfalls schwer, so der Sprecher der deutschen Regierung, Steffen Seibert. Er könne derzeit nicht sagen, ob die Minsker Vereinbarung gescheitert sei.

Am Abend wollten die Verhandler von Minsk (Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Francois Hollande, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und Russlands Präsident Wladimir Putin) in einer Telefonkonferenz über die weitere Vorgangsweise beraten. Eine Ahnung von der Stimmungslage vermittelte die sonst eher wortkarge EU-Außenbeauftragte Frederica Mogherini: Sie droht mit einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland. Das Vorgehen der pro-russischen Separatisten in Debalzewe sei ein klarer Verstoß der Waffenstillstandsvereinbarung. Sie forderte zugleich einen sofortigen Zugang für Beobachter der OSZE. Diese waren in den vergangenen Tagen von pro-russischen Verbänden nicht nach Debalzewe durchgelassen worden.

Vorwurf an Russland

Der Krieg in der Ukraine sorgte auch vor den Vereinten Nationen für einen massiven Schlagabtausch. Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin äußerte nach dem Fall Debalzewes die Hoffnung auf eine Besserung der Lage. Der UN-Botschafter der Ukraine, Juri Sergejew, warf Russland hingegen vor, sich als Unterstützer des Friedensplanes darzustellen, aber in Wirklichkeit sei es ganz anders.

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