Tropfen auf den heißen Stein für Flüchtlinge

Last für Syriens Nachbarländer:Im Flüchtlingslager Zaatri in Jordanien leben fast 120.000 Menschen. So viele wie in Innsbruck
Europa sollte offener für syrische Flüchtlinge sein, sagt Volker Türk vom UNHCR

Syrien, Lampedusa, Bootsflüchtlinge aus Afrika. Meldungen über Flüchtlinge scheinen alltäglich. Die Zahlen sind auf dem höchsten Stand seit 20 Jahren. 45,2 Millionen Menschen waren im vergangenen Jahr auf der Flucht im In- und Ausland. Der KURIER sprach mit dem Direktor für internationalen Flüchtlingsschutz beim UNHCR, dem Österreicher Volker Türk.

Sie sind seit mehr als 20 Jahren beim UNHCR, wie hat sich Flucht bis heute verändert?

Tropfen auf den heißen Stein für Flüchtlinge
Volker Türk:Die Flüchtlingszahlen sind wieder auf dem Niveau von 1994. Aufgrund von alten Krisen – Irak, Afghanistan, Mali, die Demokratische Republik Kongo, Myanmar –, und vor allem wegen Syrien. Wir haben 2,2 Millionen Flüchtlinge in Syriens Nachbarländern. Libanon hat in den letzten Tagen 35.000 Flüchtlinge aufnehmen müssen. Das muss man sich einmal vorstellen! Verglichen mit den Flüchtlingszahlen Europas – so viele Flüchtlinge nehmen andere Länder manchmal in ein paar Tagen auf.

Oft wird der Begriff der „Festung Europa“ genannt. Schottet sich Europa ab?

Eines ist sehr interessant: In den Stellungnahmen europäischer Politiker heißt es immer, die Nachbarländer Syriens sollen die Grenzen offen halten. Die sind am stärksten betroffen. Bis zu 800.000 Flüchtlinge sind in der Türkei, 800.000 im Libanon, mehr als 550.000 in Jordanien, fast 200.000 im Irak. Natürlich ist es extrem wichtig, dass die Grenzen offen bleiben. Gleichzeitig rufen wir immer dazu auf, dass sich alle Länder öffnen. Es gibt Möglichkeiten, Schutzbedürftige aufzunehmen. Etwa durch erleichterte Familienzusammenführung, Studentenvisa, Arbeitsbewilligungen.

Europäische Staaten haben in den vergangenen Monaten syrische Flüchtlinge aufgenommen. Man hört aus Ihrer Antwort heraus, dass das nicht ausreicht.

Ja, das reicht nicht. Wir sind sehr dankbar, dass etwa Österreich 500 Plätze zur Verfügung gestellt hat. Das ist ein wichtiges Zeichen der Solidarität. Es hilft im Einzelfall. Aber wenn man sich die Krise anschaut, dann ist das nur der Tropfen auf den heißen Stein. Wenn es so weitergeht, brauchen wir viel höhere Aufnahmezahlen. Die Krise wird sich in den nächsten Jahren vor den Toren Europas abspielen, wenn es keine politische Lösung gibt. Wir sollten Syrer nicht in die Nachbarländer zurückschicken. Zu sagen, dass die Türkei die Flüchtlinge behalten soll, die dort sind, hilft nicht. Eher sollte man überlegen, welche Aufteilung man macht.

Wir haben über Europas Politik gesprochen. Wie sieht es mit der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung reicher Staaten aus?

Jeder, der sieht, mit welcher Verzweiflung diese Menschen in den Booten ankommen, ist automatisch offener. Nehmen Sie die Bevölkerung von Lampedusa etwa. Leider werden wir – auch von Medien – in einer Ignoranz gehalten, was Fluchtschicksale betrifft. Diese Menschen entkommen Bürgerkrieg, Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen. Leider wird mit dem Thema auch oft – populistische – Politik gemacht. Das ist für uns ein sehr großes Problem. Es bedarf politischer Führungsqualität, um mit Flüchtlingsfragen umzugehen.

Wie geht es dem UNHCR? Spürt man eine finanzielle Krise?

Unser Budget hat sich seit 2005 – aufgrund dieser Krisen – verdoppelt. Das Problem bei den Beiträgen der Staaten ist, dass sie meistens zweckgebunden sind – aktuell für Syrien. Es gibt viele andere Krisen, bei denen die Geberströme nicht so stark sind. Wir würden uns mehr ungebundene Gelder wünschen.

Sind Sie mit dem österreichischen Beitrag zufrieden?

Österreich spendet 2013 knapp vier Millionen Euro. Tendenz steigend. Ich muss auch sagen, dass wir sehr froh waren, als Österreich die Entscheidung getroffen hat, 500 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Wir hoffen natürlich, dass uns Österreich weiterhin und auch kräftiger unterstützt.

Zur Person Volker Türk (47)

Der gebürtige Linzer ist als Direktor für internationalen Flüchtlingsschutz ein leitender Mitarbeiter beim UNHCR. Der Jurist arbeitet seit 1991 bei der Organisation und war selbst in diversen Krisenländern tätig.

UNHCR

Das UN-Flüchtlingskommissariat in Genf ist seit 1951 weltweit für Schutz und Unterstützung von Flüchtlingen zuständig.

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