Obama nimmt den Finger vom Abzug

U.S. President Barack Obama listens to remarks from French President Francois Hollande during their meeting at the G20 Summit in St. Petersburg September 6, 2013. REUTERS/Kevin Lamarque (RUSSIA - Tags: POLITICS)
Der US-Präsident legt die Angriffspläne auf Eis und spricht von einem „signifikanten Durchbruch“, wenn Assad tatsächlich seine Chemiewaffen verschrotten lässt.

Als mediale Großoffensive waren die sechs TV-Interviews angelegt, um die kriegsmüden Amerikaner von der Notwendigkeit eines Militärschlages gegen Syriens Machthaber Bashar al-Assad zu überzeugen. Doch plötzlich sprach US-Präsident Barack Obama (in der Nacht zum Dienstag) nicht von Krieg, sondern von Frieden.

Nach den sich überstürzenden Ereignissen des Montags sah der Staatschef einen potenziell „signifikanten Durchbruch“ und eine „Chance auf Erfolg“. Er meinte damit die von Russland geforderte Überwachung und spätere Vernichtung der syrischen Chemiewaffenarsenale, dem Damaskus am Dienstag offiziell zustimmte. Nun will die Diktatur sogar der UN-Chemiewaffenkonvention beitreten. In Moskau hieß es, man arbeite mit syrischen Vertretern bereits an einem Plan, wie die C-Waffen unter internationale Kontrolle gebracht werden könnten. Ein entsprechender Bericht werde den anderen Ländern bald vorgestellt werden.

„Es ist unwahrscheinlich, dass wir ohne eine glaubhafte militärische Drohung an diesen Punkt gelangt wären“, versuchte Obama, die jüngste Entspannung auf seine Fahnen zu heften. Dabei war nicht einmal sicher, ob ihm der US-Kongress grünes Licht für eine Syrien-Intervention gegeben hätte. Eine für Mittwoch geplante Probeabstimmung im Senat wurde verschoben. Der US-Präsident, der sich in der Nacht zum Mittwoch in einer Rede an die Nation wenden wollte, versicherte jedenfalls, dass man die nächsten Schritte des Assad-Regimes genau prüfen werde: „Wir wollen keine Hinhaltetaktik.“

Misstrauen

Genau das befürchten aber die syrischen Rebellen, sie fordern weiterhin einen Militärschlag: „Wir misstrauen sämtlichen Versprechen des Regimes. Außerdem reicht es nicht aus, wenn der Verbrecher einfach nur die Tatwaffe abgibt“ – mit der am 21. August mehr als 1400 Menschen getötet wurden.

Tatsächlich könnte es jetzt zu einem langwierigen Prozess in der UNO kommen. Auch wie die Kontrolle der C-Waffen in dem Bürgerkriegsland erfolgen soll, ist völlig offen, die Vernichtung derselben ebenso (siehe unten). Manche Experten bezweifeln überhaupt, dass das Vorhaben umsetzbar ist. Die USA würden lediglich 19 der 42 in Syrien vermuteten Chemiewaffen-Standorte kennen. Schon am Dienstag zeichnete sich die nächste Blockade im UN-Sicherheitsrat ab. Auf Betreiben Russlands wurde die zuvor eilig einberufene Sondersitzung wieder abgesagt.

Putins Bedingungen

Einen von Frankreich vorgelegten Entwurf für eine Resolution des Sicherheitsrates lehnte Präsident Putin ab, weil darin der Chemiewaffen-Angriff Assad zugeschrieben wird, außerdem verlangte er für seine Zustimmung den erklärten Verzicht der USA auf einen Militärschlag: Für Washington inakzeptabel. Außenminister Kerry machte erneut deutlich, dass die Zeit Assads für eine Kehrtwende begrenzt sei.

China, das seit Monaten ebenfalls jedes Vorgehen gegen Syrien blockiert, hat zumindest den Vorstoß Moskaus zur Kontrolle der Chemiewaffen begrüßt. Auch der Iran, wie Russland Waffenlieferant an das Damaszener Regime, begrüßte die C-Waffen-Abrüstungsinitiative.

Aus vielen Hauptstädten Europas kam Zustimmung, darunter auch aus London und Berlin. Israel blieb skeptisch. Und in der Türkei zeigte man sich angesichts des Rückziehers fast entsetzt. Ein weiteres Zuwarten käme einem „grünen Licht für weitere Massaker“ gleich, warnte Außenminister Davutoglu.

Börsen reagieren positiv

Die internationalen Börsen nahmen die Signale der Entspannung in der Syrien-Krise äußerst positiv auf. Die Aktienkurse stiegen teils kräftig, der Ölpreis fiel auf 110 Dollar pro Barrel à 159 Liter. Und auch die „Krisenwährung“ Gold verlor an Glanz und sank auf 1360 Dollar pro Feinunze (31 Gramm) am Dienstagnachmittag.

„Diplomatisch lässt sich leicht sagen: Alle Chemiewaffen einsammeln und vernichten. In der Praxis ist das sehr schwierig“, seufzt Oberst Otto Strele, ABC-Abwehroffizier des Bundesheeres. Die Umsetzung des russischen Vorschlags zur Lösung der Syrien-Krise ist „sehr aufwendig, langwierig, heikel und sehr kostspielig“.

Im KURIER-Gespräch nennt Strele ein Beispiel, um eine Ahnung über den Aufwand zu bekommen: Ende der 1990er-Jahre haben die ABC-Experten des Bundesheeres rund 170 mit chemischen Kampfstoffen gefüllte Granaten aus dem Ersten Weltkrieg zerlegt und entsorgt. „Eine ungute Sache im Gummianzug und Vollschutz. Ein Mann kann darin nicht länger als 30, 40 Minuten am Stück arbeiten, dann muss der Nächste weitermachen. Für 170 Granaten haben wir zwei Jahre lang gebraucht.“ Strele hat noch einen Vergleich parat: „Für 20 Liter in Artilleriegeschoße oder Bomben gefüllten Kampfstoff braucht man einen Tag.“

Obama nimmt den Finger vom Abzug
In Syrien geht es um gigantische Dimensionen: Rund 1000 Tonnen an Kampfstoffen sollen nach Schätzungen der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) in Syrien lagern. Demnach verfügt das Assad-Regime über das größte Chemiewaffenarsenal im Nahen Osten. Und die Lager der Kampfstoffe sind an mindestens 20 Orten verteilt. Und das in einem vom Bürgerkrieg gebeutelten und durch die verschiedenen kämpfenden Gruppen „zerklüfteten“ Land.

Im Juli hat die Führung in Damaskus den Besitz von biologischen und chemischen Kampfstoffen zugegeben. Dabei soll es sich vor allem um das Kontaktgift Senfgas, das hochgiftige, anhaltend wirkende Nervengift VX und – mengenmäßig am meisten – um das sehr giftige, aber rasch flüchtige Nervengas Sarin handeln.

Um einen logistischen Plan zur Entsorgung und späteren Vernichtung überhaupt erstellen zu können, müsste das Regime folgende Fragen klären: „Welche Kampfstoffe haben sie? Wieviel? Wo? In welchen Gebinden? Und wie groß sind diese?“ Wobei Strele davon ausgeht, dass die syrische Führung der UNO eine lückenlose Auflistung vorlegen wird.

Dennoch wäre es für die UN-Inspektoren, „die wohl diesen Job machen würden“, immer noch schwierig, die Waffen einzusammeln und dann sicher außer Landes zu bringen. „Da bedarf es der militärischen Sicherung der Lagerstätten und Transportwege, damit es nicht zu einem Artillerie-Angriff kommt oder zu Plünderungen.“ Und dann stelle sich die Frage: „Wo ist das nächste sichere Land, in dem die Waffen dann vernichtet werden können?“ Egal, wo und wie, würde die Aktion jedenfalls unglaublich viel Geld kosten.

Wer will das Gift?

Oberstleutnant Erwin Richter von der ABC-Abwehrschule glaubt nicht, dass diese Mengen außer Landes gebracht werden können. „Welches Nachbarland soll das Giftgas auf seinen Boden lassen?“, fragt er. Und einen Transport nach Russland oder in die USA, wo es Einrichtungen gibt, um derartige Kampfstoffe fachgerecht zu entsorgen, hält er nicht nur wegen der enormen Kosten für unwahrscheinlich. „Egal, ob auf der Straße, in der Luft oder auf dem Seeweg. Jeder Transport des Giftgases ist hochriskant. Ich möchte jedenfalls nicht, dass so ein Flieger über uns drüber fliegt.“ Am wahrscheinlichsten ist für Richter, dass es in Syrien an einem entsprechend gesicherten Ort unter Kontrolle der UNO verwahrt und später vernichtet wird. Und selbst wenn – wie im Irak in der Wüste geschehen – diese Kampfstoffe fernab von Menschen und streng gesichert gesprengt und verbrannt würden, würde das Jahre dauern.

Kommentare