Syrien: Berlin entsendet Luftwaffe und Marine

Deutschland beteiligt sich am Kampf gegen den IS. Putin verspricht, die Opposition zu verschonen.

Spätestens seit Angela Merkels Besuch Mittwochabend bei François Hollande war klar, dass Deutschland Flagge zeigen muss. Der französische Präsident machte sehr deutlich, dass Worte der Solidarität nicht reichen. Am Donnerstag entschied Kanzlerin Merkel nach Rücksprache mit den zuständigen Ministern, dass Deutschland militärisch aktiv werde. Man dürfe einem weiteren Erstarken der Terrormiliz "Islamischer Staat" nicht länger zuschauen, so die Kanzlerin.

Die Bundesregierung werde "Tornado"-Aufklärungsflugzeuge in den Kampf schicken. Hinzukommen sollen ein Kriegsschiff, Tankflugzeuge und Satellitenaufklärung. Außerdem sollen die Bundeswehreinsätze in Mali und Irak ausgebaut werden, um die überforderten französischen Streitkräfte zu entlasten.

Zwei Mal war die deutsche Bundeswehr bis jetzt aktiv in offensive Kampfeinsätze involviert. Mit "Tornados" gegen serbische Stellungen im Kosovo-Krieg und mit Bodentruppen gegen die Taliban in Afghanistan.

Kritik kommt vor allem von linker Seite. Deutschland rücke dadurch stärker in den Fokus der Islamisten, fürchtet Bernd Riexinger, Parteichef der Linken. Für die Grünen müsse vor der Beteiligung ein UN-Mandat her. Das gibt es bisher noch nicht. Für zumindest einen Teil der deutschen Unterstützungsangebote wird ein Bundestagsmandat notwendig sein.

Hollandes Marathon

Der Élysée-Palast schickte am Donnerstagabend seinen Dank nach Berlin. Die Möglichkeiten des gemeinsamen Kampfes gegen den IS waren dann auch beim Treffen Hollandes mit Wladimir Putin in Moskau das große Thema. Es war die letzte Station des diplomatischen Marathons, den Frankreichs Präsident diese Woche absolvierte. Dienstag traf er Barack Obama in Washington, Mittwochabend Angela Merkel und Donnerstagvormittag Italiens Regierungschef Matteo Renzi.

In Moskau einigten sich die beiden Staatschefs Hollande und Putin darauf, gemeinsam gegen jene Terroristen zu kämpfen, die für die jüngsten Anschläge auf ihre beiden Staaten verantwortlich sind. Konkret geht es Frankreich vor allem um Informationsaustausch von Geheimdiensten und Militär zu geplanten Kampfhandlungen sowie um Maßnahmen zur Sicherung der türkisch-syrischen Grenze. Damit sollen IS-Nachschubwege und Finanzierungskanäle trockengelegt werden. Hollande betonte noch einmal seine Forderung nach einer politischen Lösung – und dass Angriffe auf bewaffnete Gruppen unterbunden werden, die ihrerseits gegen den Terror kämpfen. (Russland wird ja vorgeworfen, sich bei den Luftschlägen in Syrien vor allem gegen die Anti-Assad-Opposition zu richten.)

Frankreich genießt in Russland hohes Ansehen als einstiger Verbündeter in der Anti-Hitler-Koalition. Pragmatiker warnen aber vor zu hohen Erwartungen. Denn Differenzen gibt es zur Rolle der syrischen Opposition und zur Zukunft Assads. Frankreich hält wie die Partner in NATO und EU den Diktator für die Quelle des Übels, für Putin ist er als Stabilisierungsfaktor in einer Übergangszeit unverzichtbar.

"Arbeitsaufteilung"

Eine von den USA angeführte Koalition steht derzeit im Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak – ohne UN-Mandat: Washington unterstützt zudem die Kurden, die irakische Armee und neuerdings kurdisch-arabische Kämpfer im Norden des Landes (mit ca 50 bewaffneten Spezialeinheiten). Frankreich führt Luftangriffe gegen den IS in Syrien und im Irak durch. Deutschland liefert Waffen und Know-how an kurdische Kämpfer im Nordirak. Russland fliegt Luftangriffe in Syrien. Der Iran hat Kämpfer und Militärberater in Syrien. Die von Teheran finanzierte libanesische Schiitenmiliz Hisbollah kämpft dort. Im Irak unterstützt Teheran die schiitischen Milizen, die an der Seite der Armee gegen den IS kämpfen. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Katar und Jordanien unterstützen die US-Koalition sowie syrische Rebellen. Die Türkei fliegt als Teil der US-Koalition Luftangriffe gegen den IS und unterstützt Assad-Rebellen in Syrien. Großbritannien führt Luftschläge gegen den IS im Irak durch, Premier Cameron will die Operation auch nach Syrien ausdehnen und wirbt derzeit vor seinem Parlament dafür.

Obwohl beide Seiten unterstreichen, sie wollten keine weiteren Spannungen, eskaliert der Streit nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei. Der russische Premier Medwedew kündigte am Donnerstag eine Reihe von Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei an. Er nannte etwa das Einfrieren gemeinsamer Investitionsprojekte sowie mögliche Einfuhrzölle. Die Liste „breit angelegter Maßnahmen“ unter anderem im Tourismus, Handel und Flugverkehr soll bald vorliegen.
Wirtschaftsminister Uljukajew zufolge könnten die Sanktionen den Bau des ersten türkischen Atomkraftwerks treffen. Das rund 115 Mrd. Euro schwere Projekt ist derzeit der größte Auftrag der russischen Atomholding Rosatom. Auch die geplante Gaspipeline Turkish Stream könnte betroffen sein.

Milliardenschaden

Das Außenamt gab eine Reisewarnung für das bei Russen sehr beliebte Urlaubsland heraus. Zuvor hatten russische Reisebüros alle Türkei-Fahrten vorerst bis Jahresende annulliert. Der Türkei entstehe dadurch ein Schaden von zehn Milliarden US-
Dollar, hieß es in Moskau.
Mehrere türkische Geschäftsleute sollen in Russland festgenommen worden sein. Gleichzeitig rüstet Moskau seine Truppen in Syrien weiter auf und setzt die von Ankara so heftig kritisierten Luftangriffe entlang der türkischen Grenze fort.
Nach wie vor stehen einander die türkische und die russische Version des Flugzeugabschusses gegenüber. Moskau betont, die SU-24 sei während des ganzen Fluges im syrischen Luftraum geblieben und von der türkischen Maschine ohne Vorwarnung abgeschossen worden. Der Kreml spricht sogar von einer geplanten Provokation.
Die Tonaufnahme eines türkischen Kampfpiloten, veröffentlicht vom Generalstab in Ankara, soll nach Angaben Ankaras beweisen, dass der Abschuss verhindert hätte werden können – durch ein Wendemanöver der russischen Maschine: „Sie nähern sich dem türkischen Luftraum“, sagt eine Stimme auf Englisch. „Drehen Sie sofort Richtung Süden ab.“ Doch wenige Minuten nach dem Funkspruch aus der Kanzel der türkischen F-16 drückte der Pilot auf den Auslöser einer Rakete und holte die russische SU-24 vom Himmel.
Im Streit geht es aber um mehr. Immer deutlicher taucht die Frage auf, ob die Türkei ihre beanspruchte Rolle als wichtige regionale Führungskraft in Nahost auch gegen eine Weltmacht wie Russland durchsetzen kann – obwohl sie in hohem Maße von russischen Erdgaslieferungen abhängig ist.
Entschuldigen will sich der türkische Präsident Erdogan keinesfalls für den Abschuss. Er schwankt zwischen versöhnlichen Tönen und harten Worten. So beteuert er das Interesse seines Landes an „Frieden, Dialog und Diplomatie“, greift aber gleichzeitig Kremlchef Putin scharf an. Putins Äußerung, die Türkei kaufe Ölexporte des „Islamischen Staates“ und finanziere so den Terror, sei eine „Schande“ sagte Erdogan. Zudem bekräftigte er den Vorwurf, Russland benutze den angeblichen Kampf gegen den IS nur als Vorwand, um gegen gemäßigte Rebellen vorgehen zu können, darunter die mit Ankara verbündeten Turkmenen.

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