Cameron krempelt Großbritannien um

Jubel bei Schottinnen, die unter dem Union Jack bleiben wollen: Das „No“ zur Unabhängigkeit siegte mit einem recht deutlichen Vorsprung
Nicht nur die Schotten, auch die anderen Regionen sollen mehr Autonomie erhalten. Schottlands Salmond tritt ab.

Er hatte sichtlich keine Zeit zu verlieren. Es war sieben Uhr und das "Nein" der Schotten gerade erst im Kasten, da trat David Cameron in Downing Street Nr.10 schon vor die Tür – und vor die Presse. Die Freude über den klaren Sieg der Unabhängigkeitsgegner und das Versprechen, den Schotten jetzt tatsächlich mehr Autonomie zu geben, waren rasch abgehakt. Dass der schottische Regierungschef und oberster Gegner des Verbleibs bei Großbritannien, Alex Salmond, am Abend zurücktreten würde, war zu dem Zeitpunkt noch kein Thema.

Schließlich aber kam Cameron zum wichtigsten, aber auch heikelsten Punkt seiner strategischen Überlegungen: Nicht nur die Schotten, auch die Nordiren, die Waliser und natürlich auch die Engländer sollten "ein größeres Mitspracherecht bei ihren eigenen Angelegenheiten" bekommen. In Zukunft, so der Premier, sollten "nur englische Parlamentarier über politische Fragen Englands entscheiden."

Cameron legte nicht nur diesen gewagten Vorschlag, sondern auch noch gleich ein rasantes Tempo vor. Bis Ende November soll die neue Autonomie entworfen, bis Ende Jänner nächsten Jahres vom Parlament abgesegnet sein. Und das, so machte der Premier klar, gelte nicht nur für Schottland, sondern auch die anderen drei Regionen des Königreichs.

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Die englische Frage

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Britain's Prime Minister David Cameron speaks in front of 10 Downing Street, in central London September 19, 2014. Cameron said on Friday the Scottish National Party (SNP) would join talks on transfering further powers to Scotland after voters rejected independence. "I've just spoken to (SNP leader) Alex Salmond, congratulating him on a hard-fought campaign. I'm delighted the SNP will join talks on further devolution." REUTERS/Suzanne Plunkett (BRITAIN - Tags: POLITICS TPX IMAGES OF THE DAY ELECTIONS)
In den britischen Medien brach ansatzlos eine lange unter der Decke gehaltene politische Debatte aus: Die sogenannte "englische Frage". Schottland hat seit 1997 ein eigenes Parlament in Edinburgh. Das soll demnächst noch bei weit mehr politischen und wirtschaftlichen Themen das letzte Wort haben – ganz ohne Mitsprache Londons. Im nordirischen Parlament in Belfast machen jene Parteien, die die Region ohnehin lieber bei Irland als Großbritannien sehen würden, ständig Druck. Selbst die traditionell eher bescheidenen und politisch unauffälligen Waliser haben eine Nationalversammlung in Cardiff, die vieles im Alleingang regeln darf.

Warum also, fragen sich gerade in der konservativen Regierungspartei, viele einflussreiche Abgeordnete, sollen diese drei Regionen auch im Unterhaus in Westminster bei allen politischen Fragen mitreden – und mitstimmen? Wenn also etwa Steuerfragen im Parlament auf der Tagesordnung stehen, dann – so die Forderung – sollten nur die englischen Abgeordneten eine Stimme haben. Schotten, Waliser und Nordiren würden das ja ohnehin weitgehend in ihren eigenen Parlamenten abhandeln.

Wahlkampf

Auf wenig Beifall stießen die Pläne des Premiers bei der oppositionellen Labour-Partei. Für diese sind Schottland, aber auch Wales traditionelle Hochburgen. Eine Unabhängigkeit Schottlands hätte, so fürchteten viele Parteigranden, die Chancen der Partei bei zukünftigen britischen Parlamentswahlen drastisch reduziert. Jetzt bleibt Schottland zwar Teil des Königreichs und seine Abgeordneten in Westminster, doch diese dürften, setzt Cameron seine Pläne durch, bei vielen wichtigen Themen gar nicht mehr mitstimmen. "Das wäre wohl das Letzte, was Schottland jetzt braucht", meldete sich ein empörter Labour-Abgeordneter auf Twitter: "Damit können sich nur die Konservativen noch fester an die Macht klammern."

Schottland entschied:

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A 'Yes' campaigner sits outside the Waternish poll
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People leave a polling station after placing their
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Graffiti supporting the "Yes" campaign is painted
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epaselect BRITAIN SCOTTISH REFERENDUM
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BRITAIN SCOTTISH REFERENDUM

Und um diese Macht geht es in den kommenden Monaten in Großbritannien. Schon im kommenden Frühjahr sind Parlamentswahlen in Großbritannien fällig. Nach vier Jahren strenger Sparpolitik ist die von den Konservativen dominierte Regierungskoalition auf einem absoluten Tief ihrer Popularität angelangt. Das "Nein" der Schotten gebe Cameron, so meint ein politischer Beobachter zum KURIER, "vor allem ein neues Spielfeld für den Wahlkampf".

Hintergrund: "No" lässt EU aufatmen

"Better Together" ("Besser zusammen") – Am Ende ließen sich die Schotten vom Slogan der Unabhängigkeitsgegner ("Yes") überzeugen. Lediglich in vier der 32 Wahlbezirke war eine Mehrheit für eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich. Landesweit stimmten 44,7 Prozent mit "Yes".

Nach dieser bitteren Enttäuschung und dem sofortigen Rücktritt des schottischen Premiers Salmond fragen sich die "Yes"-Wähler, warum die meisten Landsleute die Union mit England, Wales und Nordirland einer Unabhängigkeit vorziehen. Laut BBC ist die Wirtschaft der Hauptgrund – besser gesagt, die Angst, trotz reicher Ölvorkommen ohne Großbritannien nicht überleben zu können. Während ärmere Bevölkerungsschichten vor allem in wirtschaftsschwachen "Yes"-Hochburgen wie Glasgow und Dundee sowie Junge ohne Perspektive das Experiment Unabhängigkeit wagen wollten, weil sie nichts zu verlieren haben, setzte sich die Angst in der Mittel- und Oberschicht sowie bei Älteren durch – oder die Vernunft, wie die Abspaltungsgegner dazu sagen. Ganz nach dem Motto: "Alt, aber gut."

Kurioses Schottland:

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A competitor throws a wooden pole during the heavy
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ODD Loch Ness Chippewa River
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BRITAIN SCOTLAND ROYALTY
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Whisky barrels are seen in the warehouse of the Di
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Ausreißer

Die ungeklärte Frage nach der künftigen Währung und den tatsächlichen Ölvorkommen, der mögliche Ausschluss aus der EU, die Ankündigung großer Unternehmen, ihre Zentralen nach England zu verlegen: all das befeuerte die "No"-Kampagne .

Dazu kamen die Zugeständnisse der britischen Regierung. Aufgeschreckt durch eine Umfrage zehn Tage vor dem Referendum, waren der britische Premier Cameron, Labour-Chef Miliband und der Chef der Liberaldemokraten, Clegg, vorige Woche nach Edinburgh gereist, um für ein "No" zu werben. Allerdings – und das ist ein weiterer Grund für den Sieg der "No"-Bewegung – war die Umfrage des Instituts YouGov, die 51 Prozent für die Unabhängigkeit vorausgesagt hatte, ein "Ausreißer". Als das Referendum 2012 beschlossen worden war, war nur ein Drittel der Schotten für eine Abspaltung. Bis vergangenen Juni gab es laut BBC 65 Umfragen, und in allen lag das "No"-Lager vorn. Auch nach der YouGov-Umfrage waren die Gegner der Unabhängigkeit wieder in der Mehrheit, wenn auch knapp.

Angesichts der Unabhängigkeitsbestrebungen im eigenen Land hat Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy erleichtert auf das Ergebnis des schottischen Referendums reagiert. Die Schotten hätten die günstigste Option für sich selbst, Großbritannien und den Rest Europas gewählt, sagte Rajoy. Mit ihrem „Nein“ zu einer Abspaltung hätten sie ernste wirtschaftliche, soziale und politische Folgen verhindert.

Ungeachtet des Ausgangs der Abstimmung in Schottland will die Führung der Region Katalonien am 9. November ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten. „Ich stehe weiterhin zu meinem Wort, die Volksabstimmung abzuhalten. Katalonien will wählen“, sagte Ministerpräsident Artur Mas. Das Parlament in Barcelona stimmte am Freitag mit großer Mehrheit für die Abhaltung des Referendums. Die Regierung in Madrid aber hatte bereits im Vorfeld erklärt, ein Referendum verstoße gegen die Verfassung. Laut Umfragen sind 80 Prozent der 7,5 Millionen Katalanen für eine Loslösung von Spanien.

Mehr Eigenständigkeit

Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) hat das Nein der Schotten bedauert. Er hätte sich ein „Ja gewünscht“. Gleichzeitig hoffe er, dass die EU verstehe, dass es starke regionale Bewegungen mit dem Wunsch nach mehr Eigenständigkeit gebe.

Eine klare Absage erteilte er einem Vorhaben der „Süd-Tiroler Freiheit“, im Landtag einen Antrag einzubringen, in dem gefordert werden soll, mit Rom Verhandlungen mit dem Ziel eines bindenden Referendums zur Selbstbestimmung aufzunehmen. Dabei handle es sich um eine „völlige Verkennung der Situation“. Schottland sei nicht Südtirol, sagte Kompatscher. Italien habe im Gegensatz zu Großbritannien eine Verfassung, in der die Einheit des Staates eines der Grundprinzipien sei. Die Südtiroler Situation sei ähnlich jener der Katalanen in Spanien.

Wenn Investoren etwas gar nicht mögen, dann Unsicherheit. Das "Nein" in Schottland sorgte folglich für Aufatmen der Aktionäre. "Das hätte der Flügelschlag eines Schmetterlings sein können, der zu Chaos führt", kommentierte Nick Beecroft, Chefanalyst der dänischen Saxo Bank. Allzu groß waren die Zugewinne nicht mehr: Das Abstimmungsergebnis hatte sich schon abgezeichnet. Der FTSE100-Index an der Börse London lag am Freitagnachmittag 0,64 Prozent im Plus.

Umzug nicht vom Tisch

Jene Großbanken, die für den Fall der Unabhängigkeit ihre Übersiedelung von Edinburgh nach London angedroht hatten, profitierten ebenfalls. Die Aktie der Royal Bank of Scotland, die ihre Umzugspläne offiziell ad acta legte, stieg um 3 Prozent.

Gut ein Prozent war der Wertzuwachs für Lloyd’s – deren Statement war mehrdeutig: Sie versprach nur eine "bedeutende Präsenz" in Schottland. Beide Banken waren von den Steuerzahlern mit 66 Milliarden Pfund gerettet worden, der Staat hält noch immer große Anteile. In Madrid kletterte der Index Ibex-35 um 0,71 Prozent; das "Nein" gilt als Rückschlag für die katalonischen Separatisten. Spürbar war die Erleichterung bei der Währung: Das Pfund stieg auf ein Zwei-Jahres-Hoch zum Euro – begünstigt durch dessen Schwäche.

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