Schottlands Alex Salmond tritt ab
Nach dem verlorenen Referendum zur Unabhängigkeit hat Schottlands Ministerpräsident Alex Salmond seinen Rücktritt als Regierungschef und als Parteivorsitzender der SNP angekündigt. Er werde auf dem Parteitag in Perth nicht mehr kandidieren, sagte Salmond am Freitag. Er stand seit 2007 an der Spitze der Regionalregierung und ist der prominenteste Verfechter der Loslösung von Großbritannien, die am Donnerstag von der Mehrheit der Schotten per Volksabstimmung abgelehnt wurde. Für ihn als Spitzenpolitiker sei die Zeit fast abgelaufen, aber für Schottland gehe die Kampagne weiter, sagte Salmond. "Der Traum (von der Unabhängigkeit) wird niemals sterben".
Für viele kommt der Schritt doch überraschend: Denn Schottland bleibt zwar nach dem Willen von 55 Prozent der Wähler in der Union, hat aber doch einen beachtlichen Sieg errungen: Die britische Regierung ist nun gezwungen, zu handeln: eine Staatsreform muss her. Premier Cameron wird sein im Enspurt des Wahlkampfs gegebenes Versprechen, den ohnehin teilautonomen Schotten mehr Freiheiten zu geben, bald einlösen müssen.
Auch England, Wales, Nordirland
Bereits im November soll eine Kommission einen gemeinsamen Vorschlag der Parteien für zusätzliche Entscheidungsgewalt bei Steuern, Ausgaben und Sozialem vorlegen. Im Jänner 2015 werde der Entwurf im Parlament in London debattiert. Auch die Vorschläge für mehr Autonomierechte der anderen Regionen sollen dann stehen, sagte Außenminister William Hague dem Sender BBC. Eine endgültige Entscheidung soll dann nach den britischen Parlamentswahlen im Frühjahr die neue Regierungsmehrheit treffen.
Wundenlecken bei den Wahlverlierern
Glasgow für Austritt, Edinburgh für Union
In den Regionen ist das recht knappe Ergebnis deutlich zu sehen – und die Spaltung des Landes: In 29 der 32 Bezirke fiel die Wahl zugunsten des Verbleibs aus; während etwa Glasgow, die mit 600.000 Einwohnern größte Stadt des Landes, mit 53 Prozent für die Unabhängigkeit votierte, war die Hauptstadt Edinburgh mit 61 Prozent fest in der Hand der "Nein"-Wähler. „Gut gemacht, Glasgow, unsere Commonwealth-Stadt, und an die Menschen von Schottland für solch eine unglaubliche Unterstützung", schrieb Salmond bei Twitter. Auch die Stadt Dundee votierte mit 57 Prozent für eine Abspaltung – vergebens.
Schottland hat gewählt - und das Internet lacht:
Das Interesse der Schotten an der Zukunft des Fünf-Millionen-Einwohner-Landes war aber – wie auch im Vorfeld an den Kampagnen bestens ersichtlich – enorm: Vor den Wahllokalen hatten sich Schlangen gebildet, die Wahlbeteiligung lag bei 86 Prozent.
Die Angst hat gesiegt. Firmen drohten mit Abwanderung aus Schottland, Supermärkte kündigten Preissteigerungen an und diverse Erdölexperten sahen die Vorräte in der Nordsee fast wöchentlich noch weiter schwinden: Mit solchen Schlagzeilen haben britische Tageszeitungen in den vergangenen Wochen die Schotten fast unaufhörlich beglückt. Dazu kam eine Armada von Londoner Spitzenpolitikern, allen voran Premier Cameron, die nach Schottland pilgerten. Dort waren sie zwar fast ausnahmslos nicht willkommen, ihre Botschaft aber brachten sie trotzdem an. Wenn ihr nur bei uns bleibt, bekommt ihr von uns all die wirtschaftliche und politische Freiheit, die ihr schon lange fordert. Wenn ihr aber geht, geht ihr nicht nur ein unkalkulierbares Risiko ein, wir werden euch auch noch vorsorglich ein paar Steine in den Weg legen. Das wirkte.
Auch wenn die Bewegung für die Unabhängigkeit vor zwei Wochen noch erstmals zu den Gegnern aufgeschlossen hatte, das „Nein“ und das „Ja“ tatsächlich Kopf an Kopf lagen, zuletzt hat eine Mehrheit der Schotten doch lieber auf die eigenen Bedenken und Sorgen gehört als auf den Ruf von Regierungschef Alex Salmond, etwas ganz Neues zu wagen. Doch auch dieses „Nein“ lässt den Traum von der Unabhängigkeit nicht so einfach wieder verschwinden. London wird rasch reagieren und seine Versprechen von mehr Autonomie für Schottland einlösen müssen, sonst hat die Unabhängigkeits-Bewegung bald schon ein Argument mehr in der Hand. Nämlich dass London nicht nur eine ohnehin wenig geliebte Zentralmacht ist, sondern auch noch wortbrüchig. Begeisterung für Großbritannien ist in diesen Tagen in Schottland wenig zu spüren, das „Nein“ also war eine Vernunftentscheidung. Die Schotten werden sehr genau darauf achten, ob sich diese Vernunft auch rentiert.
Durch das Nein der Schotten zu einer Unabhängigkeit von Großbritannien bleibt es der Europäischen Union erspart, infolge des Referendums politisch und rechtlich Neuland zu betreten. "Ich gebe zu, mich erleichtert das Ergebnis", atmete der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, am Freitag im Namen vieler EU-Vertreter hörbar auf.
"Ich respektiere es - und sage es mit einem Lächeln", drückte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihre Art ihre Freude über das Resultat aus. Denn eine Abspaltung in einem der Mitgliedstaaten und eine folgende Wiederaufnahme der betroffenen Region in die EU hat es noch nie gegeben.
Doch auch wenn der Vorstoß der Unabhängigkeitsbefürworter in Schottland gescheitert ist, wird das Streben nach Autonomie die EU nach Ansicht von Experten weiter beschäftigen. Vor der Abstimmung in Schottland wurde in EU-Kommissionskreisen ein "Ansteckungseffekt" in anderen Regionen befürchtet. Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy zeigte sich daher am Freitag auch als "sehr glücklich" über den Ausgang des Referendums. Denn besonders die Katalanen in Spanien, aber etwa auch Flamen in Belgien oder Südtiroler in Italien fordern Unabhängigkeit.
Katalonien will weiterkämpfen
Eine Entscheidung der Schotten für eine Abspaltung von Großbritannien hätte ihnen enormen Rückenwind verliehen. Sie werden trotz der Niederlage ihrer schottischen Gesinnungsgenossen kämpferisch bleiben: "Der Prozess in Katalonien geht weiter", versicherte der Chef der Regionalregierung in Barcelona, Artur Mas. Es wird also weiter darüber gestritten werden, wie und ob eine "interne Erweiterung der Europäischen Union", wie es Sabine Riedel von der Stiftung Wissenschaft und Politik nennt, möglich ist. Vorgesehen ist das in den EU-Verträgen nicht.
"Wir werden sicherlich darüber diskutieren müssen, wie man im Fall der Fälle damit umgeht", räumte Schulz angesichts der Stimmungslage auf dem Kontinent ein. "Wir müssen uns damit beschäftigen, warum gibt es eigentlich diese Abspaltungstendenzen." Der SPD-Politiker sieht als Ursache soziale Ungleichheit sowie den Unwillen reicher Regionen, ärmere Landesteile zu unterstützen.
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