NATO lässt ihre militärischen Muskeln spielen

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko und NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen
Von Putins Aggressionskurs kalt erwischt, sucht das westliche Militärbündnis nach schlagkräftigen Antworten. Die eigene Verteidigungskraft soll erhöht, Russland so abgeschreckt werden.

Wenn gepanzerte Fahrzeuge über das gepflegte Grün eines britischen Golfplatzes rollen, muss nicht unbedingt Krieg herrschen. Als martialisches Signal aber ist die kriegerische Kulisse vor dem altehrwürdigen „Celtic Manor Resort“ durchaus erwünscht: Seit Donnerstag tagen hier 60 Staats- und Regierungschefs der 28 NATO-Staaten und demonstrieren ihre entschlossene Verteidigungsbereitschaft. Alle füreinander – und gemeinsam gegen Russland.

Gleich zu Gipfelbeginn gab NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen die Tonlage vor: „Russland greift die Ukraine an“, sagte er im walisischen Newport. „Wir haben es mit einem dramatisch veränderten Sicherheitsumfeld zu tun.“ Die russische Annexion der Krim, das kriegerische Vorgehen Moskaus in der Ostukraine – auf den Aggressionskurs von Kremlherr Putin hatte das westliche Verteidigungsbündnis bisher keine adäquate Antwort. Beim wichtigsten NATO-Gipfel seit Ende des Kalten Krieges sucht die Militärallianz nun nach Strategien, schlagkräftig zu reagieren und Moskau einen Riegel vorzuschieben.

Schon vor dem Gipfel war klar: Ein militärisches Vorgehen der NATO gegen Russland aber wird es ebenso wenig geben wie Waffenhilfe für die Ukraine oder ein NATO-Beitrittsangebot an die Ukraine. Stattdessen schwört sich das Bündnis demonstrativ auf seinen alten Kernauftrag ein – die kollektive Verteidigung aller seiner Mitglieder („Artikel 5“): Wird ein NATO-Staat angegriffen, stehen ihm alle anderen ohne Wenn und Aber militärisch bei.

Keine Kampftruppen

Besonders die drei baltischen Staaten und Polen fühlen sich vom neuen Aggressionskurs des Kreml bedroht. Ihre Forderung, zu ihrem Schutz NATO-Kampftruppen ständig auf ihrem Territorium zu stationieren, hat aber vor allem Deutschland zurückgewiesen. Eine dauerhafte Truppenpräsenz in den ehemaligen Ostblockstaaten widerspreche der 1997 mit Moskau abgeschlossenen NATO-Russland-Grundakte, lautet das Argument Berlins.

Polen, Estland, Lettland und Litauen halten dem jedoch entgegen: Diese Gründungsakte, die eigentlich eine Partnerschaft zwischen Moskau und der NATO hätte sichern sollen, sei überholt. „Russland hat die Vereinbarungen gebrochen, und die NATO muss daraus die Schlussfolgerungen ziehen“, forderte Polens Verteidigungsminister Siemoniak.

Das Kompromissangebot der NATO an ihre militärisch verwundbarsten Mitglieder an der Grenze zu Russland sieht nun statt der Stationierung von Kampftruppen eine massiv verstärkte Verteidigungs- und Reaktionsbereitschaft des Militärbündnisses vor. So soll eine geplante, bis zu 5000 Mann starke „Speerspitze“ der NATO-Eingreiftruppe binnen Stunden in der Lage sein, gegen Invasoren loszuschlagen. „Jeder potenzieller Angreifer wird dann wissen, dass er, wenn er einen unserer Alliierten angreift, es nicht mit nationalen Truppen zu tun hat, sondern mit der gesamten NATO“, warnte NATO-Generalsekretär Rasmussen.

Solch schneller Einsatz setzt allerdings voraus, dass militärische Infrastruktur vor Ort bereits vorhanden ist. Deshalb sollen nun in den drei baltischen Staaten sowie in Polen oder Rumänien neue Stützpunkte eingerichtet und mehr militärische Ausrüstung gelagert werden.

Diese geplanten NATO-Beschlüsse würden das Klima zwischen dem Westen und Russland nur noch weiter verschlechtern, stellte der Kreml bereits klar. Man werde entsprechend antworten und die russische Militärdoktrin aktualisieren.

In der Osukraine wird indes weiter gekämpft.

22 EU-Staaten sind gleichzeitig auch Mitglieder des Nordatlantik-Paktes. Die neutralen oder allianzfreien EU-Mitgliedsländer Irland, Österreich, Schweden, Finnland und Zypern gehören nicht der NATO an. Diese Länder sind aber durch ein Partnerschaftsabkommen (Partnership for Peace-PfP) mit der NATO verbunden.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts und des aggressiven Verhaltens Russlands – die litauische Präsidentin sprach kürzlich von Krieg – hat die NATO jetzt den 24 PfP-Partnern eine engere Zusammenarbeit angeboten.

Die bündnisfreien Staaten Finnland und Schweden nahmen bereitwillig die Einladung an und lassen künftig NATO-Manöver und die Anwesenheit von NATO-Soldaten auf ihrem Territorium zu. Beide skandinavischen Länder schicken ihre Soldaten verstärkt zu NATO-Übungen und in spezielle teure Ausbildungsprogramme. Dadurch werden ihre Armeen auf dem neuesten Stand der Forschung und Ausbildung gehalten.

Flirt mit der NATO

Schwedische und finnische Soldaten – aber auch Soldaten anderer PfP-Staaten – , gehören ab nun zum Pool der NATO-Response Force-NRF (Schnelle Einsatztruppe), die Verteidigungsminister aus Stockholm und Helsinki haben beim NATO-Gipfel in Wales entsprechende Verträge unterschrieben.

Sollten Soldaten der Allianz künftig zum Schutz in das Baltikum mit der langen Grenze zu Russland abkommandiert werden, oder auch an einem anderen Ort gebraucht werden, können schwedische oder finnische Soldaten für diese Operation eingesetzt werden.

Auch Österreich hat ein NATO-Angebot erhalten, Soldaten für den NRF-Pool bereit zu stellen. Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) sagt jedoch Nein zu einer weiteren NATO-Annäherung Österreichs. Auch wenn das Bundesheer davon profitieren könnte, wie Österreichs NATO-Botschafter Karl Schramek kürzlich betonte. "Zur Stunde ist eine Entsendung österreichischer Soldaten in den Pool für die Schnelle Eingreiftruppe kein Thema. Daran werden wir uns nicht beteiligen", sagte der Minister.

Österreich wolle die weitere Entwicklung der Schnellen Eingreiftruppe genau beobachten. Es sei noch nicht klar, mit welchen konkreten Verpflichtungen eine engere NATO-Anbindung verbunden sei. Ein stärkeres Engagement wäre eine Positionierung der Republik gegenüber der NATO, das sei für das neutrale Österreich nicht tragbar, heißt es von Diplomaten.

Abgestimmt

Auch im Außenministerium von Sebastian Kurz (ÖVP) will man die NATO-Kooperation offiziell nicht forcieren. "Wir stimmen uns in dieser Frage mit dem Verteidigungsministerium ab", sagte der Sprecher des Außenministeriums .

Dem Vernehmen gibt es aber in beiden Ressorts Kräfte, die das anders sehen und eine engere NATO-Zusammenarbeit befürworten, weil dadurch Soldaten das gleiche internationale Niveau der Ausbildung und des Know-how bekämen. Für internationale Einsätze seien diese gleichen Ausbildungs- und Informationsstandards von Vorteil, sagen Experten.

Die geplanten Strafmaßnahmen der Europäischen Union gegen Russland wegen des Ukraine-Konflikts werden möglicherweise auch den russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu treffen. Die EU will möglicherweise schon am Freitag ein neues Sanktionspaket verabschieden. Schoigu stehe zusammen mit etwa 20 weiteren Menschen aus dem Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf einer Sanktionsliste, die zwischen den 28 EU-Botschaftern diskutiert werde, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag von zwei EU-Vertretern.

Mit den neuen Strafmaßnahmen gegen Russlands Wirtschaft und einflussreiche Politiker reagiert die EU auf Berichte über eine direkte Beteiligung russischer Soldaten an den Gefechten in der Ostukraine. Auf der EU-Sanktionsliste stehen bereits hundert Russen und Ukrainer, deren Vermögen in der EU eingefroren wurden und die nicht in die EU einreisen dürfen.

Schoigu wäre einer der hochrangigsten von den Sanktionen betroffenen Kreml-Vertretern. Auf der Liste stehen bereits der russische Vize-Regierungschef Dmitri Rogosin und die Chefs der russischen Geheimdienste.

Nach Informationen von EU-Diplomaten besteht zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten "grundsätzliches Einvernehmen zum Sanktionspaket". Noch seien aber Einzelfragen zu klären, etwa zum Export sogenannter Dual-Use-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Demnach soll das Sanktionspaket im Laufe des Freitagnachmittags festgeschnürt werden. Neben den gegen Einzelpersonen und Institutionen gerichteten Strafmaßnahmen werden die Sanktionen voraussichtlich vor allem den russischen Zugang zum europäischen Kapitalmarkt weiter einschränken.

Wie das Weiße Haus am Donnerstag in Washington mitteilte, bereiten die USA zeitgleich ebenfalls neue Sanktionen gegen Russland vor. Dabei würden sich die EU und die USA eng miteinander abstimmen, erklärte der stellvertretende Sicherheitsberater Ben Rhodes. Viele Staats- und Regierungschefs der europäischen NATO-Länder halten sich ebenso wie US-Präsident Barack Obama noch bis einschließlich Freitag beim NATO-Treffen im walisischen Newport auf. Der Konflikt in der Ukraine und der Streit zwischen Russland und dem Westen ist das Hauptthema des NATO-Gipfels.

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