Schweigender Protest gegen Chinas Zensur
Die Proteste in Hongkong haben am Mittwoch die Feiern zum chinesischen Nationalfeiertag überschattet. Tausende Demonstranten trotzen in der Nacht zum Mittwoch dem heftigen Regen in der chinesischen Sonderverwaltungsregion. Die Demonstrationen weiteten sich auf das populäre Einkaufsviertel Tsim Sha Tsui auf der Halbinsel Kowloon aus, das auch bei Touristen sehr beliebt ist.
Ultimatum
Verschärfte Zensur
Die chinesische Zensur unternahm weiter große Anstrengungen, um die Verbreitung von Nachrichten aus Hongkong in der Volksrepublik zu unterbinden. Der Satellitenempfang des amerikanischen Senders CNN und der britischen BBC wurde gestört, wenn Berichte zu Hongkong kamen. Erstmals wurde am Mittwoch auch die Webseite der englischsprachigen Hongkonger Zeitung South China Morning Post geblockt. In Chinas sozialen Medien werden massenhaft Kommentare zu Hongkong gelöscht. Twitter, Facebook oder Youtube sind in China ohnehin immer gesperrt.
Der chinesische Traum
Bei der Zeremonie verteidigte Regierungschef Leung den Beschluss des Volkskongresses in Peking für direkte Wahlen 2017 in Hongkong, bei denen die Kandidaten für das Amt des Regierungschefs aber nicht frei nominiert werden dürfen. "Allgemeine Wahlen abzuhalten ist besser als überhaupt keine allgemeinen Wahlen zu haben", sagte Leung. "Wohlstand und Stabilität in Hongkong in der Zukunft zu wahren, ist ein wichtiger Teil des 'Chinesischen Traumes'", sagte Leung unter Hinweis auf die Leitideologie von Staats- und Parteichefs Xi Jinping (mehr zum "Chinesischen Traum" lesen Sie hier).
Die Krise in Hongkong dürfte am Mittwoch auch bei einer Unterredung zwischen US-Außenminister John Kerry und seinem chinesischen Kollegen Wang Yi zur Sprache kommen. Das Gespräch sei bereits vor Beginn der Proteste am Sonntag vereinbart worden, doch werde über sie sicherlich auch gesprochen, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki.
Bilder: Hongkong begehrt auf
Die von Peking verweigerte Wahlreform und die folgenden Massenproteste haben Hongkong in die schwerste politische Krise seit 1997 gestürzt. Damals gab Großbritannien seine langjährige Kronkolonie an China zurück. Nun geht es der Demokratiebewegung um mehr Unabhängigkeit vom politischen Diktat der Zentralregierung in Peking.
WARUM IST HONGKONG SO GESPALTEN?
Der öffentliche Aufruhr in der chinesischen Sonderverwaltungszone nimmt seit Jahren stetig zu. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander, wofür unter anderem der Ressourcen-Wettstreit mit dem Festland sowie die horrenden Lebenshaltungskosten und Mieten in Hongkong verantwortlich sind. Die aktuelle Krise geht aber vor allem auf die politische Einmischung Pekings in die Belange der Metropolregion zurück und auf die Weigerung, wirklich freie und demokratische Wahlen zu ermöglichen.
WO VERLAUFEN DIE GRÄBEN?
Der amtierende Verwaltungschef Leung Chun Ying und seine Vorgänger wurden von einem Komitee ausgewählt, das der direkten Kontrolle der chinesischen KP untersteht. Zwar hat Peking der Bevölkerung Hongkongs zugesichert, dass diese ihr neues Stadtoberhaupt 2017 erstmals direkt wählen können. Antreten dürfen sollen aber nur zwei bis drei politisch genehme Kandidaten, die das umstrittene Komitee im Voraus auswählt. Bürgerrechtler begehren gegen diese "Scheindemokratie" auf, weil sie Bewerber disqualifiziere, die nicht unter Kontrolle der KP stünden.
WER STEHT HINTER DER DEMOKRATIEBEWEGUNG?
Getrieben wird der Volksaufstand von Abgeordneten, Akademikern, Studenten und gewöhnlichen Bürgern. Besonders aktiv ist die junge Generation: Studenten und Schüler sind die zentrale Triebfeder der Massenproteste und ungleich engagierter als ihre Elterngeneration. Erinnerungen werden wach an die chinesische Demokratiebewegung Ende der 80er Jahre, die 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking blutig niedergeschlagen wurde.
Am Sonntag schloss sich das von zwei Akademikern und einem Pastor angeführte Protestbündnis Occupy Central with Love and Peace dem seit einer Woche laufenden Studentenstreik an - und verhalf der Kampagne so zu deutlich mehr Gewicht. Das wiederum motivierte Zehntausende Sympathisanten, auf die Straße zu gehen. Die Polizei setzte Tränengas, Pfefferspray und Knüppel ein, vermochte den Protest aber nicht zu ersticken. Immerhin hatten sich zuvor auch fast 800.000 Bewohner Hongkongs in einem inoffiziellen Occupy-Referendum mit überwältigender Mehrheit für mehr demokratische Freiheiten ausgesprochen.
UNTERSTÜTZT JEDER IN HONGKONG OCCUPY?
Mitnichten. Im August organisierte beispielsweise ein Netzwerk Peking-treuer Kräfte einen Protestmarsch gegen Occupy durch Hongkong, dem sich Zehntausende anschlossen. Später gab es zwar Beschuldigungen, dass viele Aktivisten von Peking bezahlt und vom Festland nach Hongkong gebracht worden seien.
Das Ausmaß der Gegenbewegung weist aber auf tatsächliche Gräben im Volk hin, das keineswegs geschlossen hinter dem Konfrontationskurs mit Peking steht. Gerade in der Geschäftswelt werden weniger politische Durchgriffsrechte der Zentralregierung auch mit weniger Stabilität gleichgesetzt. Einige Unternehmen schalteten gar Anzeigen in der Lokalpresse, in denen sie vor den Folgen eines Umsturzversuchs warnten, der Hongkongs Status als internationales Handelszentrum gefährden könne.
WAS GESCHIEHT ALS NÄCHSTES?
Experten halten es für relativ unwahrscheinlich, dass Peking nachgibt. Viel hängt deshalb davon ab, wie viel Durchhaltevermögen Occupy und die Demonstranten haben. Zwar hat es derartige Unruhen in Hongkong seit Jahrzehnten nicht gegeben, und entsprechend unbedarft verhalten sich viele Menschen. Doch das gewaltsame Vorgehen der Polizei hat ihren Widerstandsgeist gestärkt. Die Bereitschaftspolizei wurde als Zeichen des Entgegenkommens bereits abgezogen. Allerdings halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Peking die Volksarmee ausrücken lassen könnte, falls die Lage weiter eskaliert.
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