Ultimatum: Demonstranten drohen mit Arbeiterstreik in Hongkong

120.000 Menschen sollen bereits auf den Straßen der Millionenstadt protestieren.
Bis Donnerstag hat die KP-Führung Zeit, um die Forderungen zu erfüllen. Sonst will man Proteste ausweiten. Einer der Protestführer ist erst 17 Jahre alt.

Die Protestbewegung in Hongkong hat ein weiteres Signal Richtung Norden geschickt: Man stellt Peking ein Ultimatum. Bis Donnerstag hat die KP-Führung Zeit, um die Forderungen nach freien Wahlen zu erfüllen. Ansonsten werde man die Proteste ausweiten und auch zum Streik aufrufen. "Wenn unsere Forderungen bis 2. Oktober nicht erfüllt werden, haben wir drei Möglichkeiten. Die erste ist, die Proteste in der Stadt auszuweiten. Die zweite ist, einen Arbeiterstreik zu starten, und die dritte, ein Regierungsgebäude zu besetzen", sagt Alex Chow, einer der Anführer der "Regenschirm-Revolution.

Gemeinsam mit der Occupy-Central-Bewegung forderten die Studenten den Rücktritt von Hongkongs Regierungschef Leung Chun-ying und die Rücknahme der umstrittenen Pläne des chinesischen Volkskongresses für nur begrenzte Wahlen in der chinesischen Sonderverwaltungsregion

17-Jähriger als Gesicht

Die Protestbewegung hat zuletzt ein Gesicht bekommen: Joshua Wong, gerade einmal 17 Jahre alt, ist einer der Anführer der Protestbewegung in der südchinesischen Sonderwirtschaftszone. Er war einer derjenigen, die vergangenen Samstag festgenommen wurden, saß 40 Stunden im Arrest und ist seither einer derjenigen, die versuchen, Peking in die Knie zu zwingen: Seinen Aufrufen ist es zu verdanken, dass mittlerweile Zehntausende Demonstranten die Straßen Hongkongs besetzen und nach Demokratie schreien.

Peking bleibt stur

Ultimatum: Demonstranten drohen mit Arbeiterstreik in Hongkong
 ... weitere Eindrücke der Proteste
 
In Peking gibt man sich noch hart angesichts der Masse an Menschen, die sich mit Regenschirmen und Gesichtsmasken gegen die Tränengas-Angriffe der Polizei wehren. Das Außenministerium in Peking kritisierte am Dienstag die Demonstrationen auf den Straßen der Millionenmetropole als "illegale Versammlung", in deren Zuge es zu mehreren Verstößen gegen Gesetze und rechtsstaatliche Grundsätze gekommen sei.

Die Demonstranten geben aber nicht auf. Sie mobilisieren ihre Mitstreiter im Netz unter dem Hashtag #UmbrellaRevolution, finden Wege, um die chinesische Zensur zu umgehen. 120.000 Menschen sollen bereits auf den Straßen der Millionenstadt protestieren. Zu verdanken ist der Erfolg Leuten wie Wong, der versucht, aus dem Ernst ein wenig Spaß herauszuholen: "Ich betone immer, dass unsere Arbeit und unser Protest sehr publikumswirksam und hübsch anzuschauen sein muss", sagte er der Agentur Reuters. Man muss darauf achten, dass die zumeist jungen Demonstranten " Spaß haben und einen Kick" aus den Protesten kriegen.

Erinnerungen an 1989

Wie Peking mit ihnen umgehen wird, ist weiterhin unklar – dass Peking ein Blutbad wie 1989 am Tiananmen-Platz anrichten wird, ist zwar unwahrscheinlich, aber der Pekinger Führung dennoch zuzutrauen. Berichten chinesischer Staatsmedien vom Dienstag zufolge scheint man statt auf Zugeständnisse darauf zu setzen, dass die Demonstrationen auf den Straßen der Millionenmetropole langsam wieder abebben. "Die Zentralregierung wird nicht einknicken wegen des Chaos, das die Oppositionellen angerichtet haben", schreibt etwa die Zeitung The Global Times.

Wong jedenfalls will nicht aufgeben – und lässt sich von den Tiananmen-Erinnerungen sicherlich nicht abschrecken: Massaker Er wurde, wie viele der Demonstranten, Jahre nach dem Massaker geboren. Und in Zeiten sozialer Medien wäre eine Geheimhaltung eines solchen Vergehens völlig undenkbar.

Die von Peking verweigerte Wahlreform und die folgenden Massenproteste haben Hongkong in die schwerste politische Krise seit 1997 gestürzt. Damals gab Großbritannien seine langjährige Kronkolonie an China zurück. Nun geht es der Demokratiebewegung um mehr Unabhängigkeit vom politischen Diktat der Zentralregierung in Peking.

WARUM IST HONGKONG SO GESPALTEN?

Der öffentliche Aufruhr in der chinesischen Sonderverwaltungszone nimmt seit Jahren stetig zu. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander, wofür unter anderem der Ressourcen-Wettstreit mit dem Festland sowie die horrenden Lebenshaltungskosten und Mieten in Hongkong verantwortlich sind. Die aktuelle Krise geht aber vor allem auf die politische Einmischung Pekings in die Belange der Metropolregion zurück und auf die Weigerung, wirklich freie und demokratische Wahlen zu ermöglichen.

WO VERLAUFEN DIE GRÄBEN?

Der amtierende Verwaltungschef Leung Chun Ying und seine Vorgänger wurden von einem Komitee ausgewählt, das der direkten Kontrolle der chinesischen KP untersteht. Zwar hat Peking der Bevölkerung Hongkongs zugesichert, dass diese ihr neues Stadtoberhaupt 2017 erstmals direkt wählen können. Antreten dürfen sollen aber nur zwei bis drei politisch genehme Kandidaten, die das umstrittene Komitee im Voraus auswählt. Bürgerrechtler begehren gegen diese "Scheindemokratie" auf, weil sie Bewerber disqualifiziere, die nicht unter Kontrolle der KP stünden.

WER STEHT HINTER DER DEMOKRATIEBEWEGUNG?

Getrieben wird der Volksaufstand von Abgeordneten, Akademikern, Studenten und gewöhnlichen Bürgern. Besonders aktiv ist die junge Generation: Studenten und Schüler sind die zentrale Triebfeder der Massenproteste und ungleich engagierter als ihre Elterngeneration. Erinnerungen werden wach an die chinesische Demokratiebewegung Ende der 80er Jahre, die 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking blutig niedergeschlagen wurde.

Am Sonntag schloss sich das von zwei Akademikern und einem Pastor angeführte Protestbündnis Occupy Central with Love and Peace dem seit einer Woche laufenden Studentenstreik an - und verhalf der Kampagne so zu deutlich mehr Gewicht. Das wiederum motivierte Zehntausende Sympathisanten, auf die Straße zu gehen. Die Polizei setzte Tränengas, Pfefferspray und Knüppel ein, vermochte den Protest aber nicht zu ersticken. Immerhin hatten sich zuvor auch fast 800.000 Bewohner Hongkongs in einem inoffiziellen Occupy-Referendum mit überwältigender Mehrheit für mehr demokratische Freiheiten ausgesprochen.

UNTERSTÜTZT JEDER IN HONGKONG OCCUPY?

Mitnichten. Im August organisierte beispielsweise ein Netzwerk Peking-treuer Kräfte einen Protestmarsch gegen Occupy durch Hongkong, dem sich Zehntausende anschlossen. Später gab es zwar Beschuldigungen, dass viele Aktivisten von Peking bezahlt und vom Festland nach Hongkong gebracht worden seien.

Das Ausmaß der Gegenbewegung weist aber auf tatsächliche Gräben im Volk hin, das keineswegs geschlossen hinter dem Konfrontationskurs mit Peking steht. Gerade in der Geschäftswelt werden weniger politische Durchgriffsrechte der Zentralregierung auch mit weniger Stabilität gleichgesetzt. Einige Unternehmen schalteten gar Anzeigen in der Lokalpresse, in denen sie vor den Folgen eines Umsturzversuchs warnten, der Hongkongs Status als internationales Handelszentrum gefährden könne.

WAS GESCHIEHT ALS NÄCHSTES?

Experten halten es für relativ unwahrscheinlich, dass Peking nachgibt. Viel hängt deshalb davon ab, wie viel Durchhaltevermögen Occupy und die Demonstranten haben. Zwar hat es derartige Unruhen in Hongkong seit Jahrzehnten nicht gegeben, und entsprechend unbedarft verhalten sich viele Menschen. Doch das gewaltsame Vorgehen der Polizei hat ihren Widerstandsgeist gestärkt. Die Bereitschaftspolizei wurde als Zeichen des Entgegenkommens bereits abgezogen. Allerdings halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Peking die Volksarmee ausrücken lassen könnte, falls die Lage weiter eskaliert.

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