Ratlos in Helsinki

Unschlüssige Finnen: Vor dem Wahlsonntag machen Beobachter zwar kein großes Jammere aus, aber auch keine echte Aufbruchstimmung.
Wahlaufreger Wirtschaft: Das Musterland ist tief in der Krise.

Was ist nur mit Finnland los? Jahrelang galt das nördlichste Euroland als Vorbild – ob in der PISA-Bildungsstudie, bei der Innovationsfreude oder den Staatsschulden. Also überall dort, wo Österreich zuletzt eher "abgesandelt" ist.

Das war einmal. Vor den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag herrscht in Finnland Ernüchterung. Die Prognosen sind erbärmlich, noch schwächer als für Österreich. Bei der Wirtschaftsleistung ist nicht einmal der Einbruch von 2009 so richtig wettgemacht.

Moskau nur ein Grund

Finnland teilt 1300 Kilometer Grenze mit Russland, der Nachbar ist der drittwichtigste Absatzmarkt nach Schweden und Deutschland. Die Sanktionen gegen Moskau und die russische Flaute machen den Unternehmen zu schaffen, erklären aber nicht alle Probleme, betont Herwig Palfinger, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Helsinki. In Finnland dominieren große Konzerne. So ist Nokia – nur noch der Schatten des einstigen Handygiganten – immer noch das größte Unternehmen. Wichtige Arbeitgeber sind der Aufzugsbauer Kone, Papiererzeuger UPM-Kymmene oder Forstriese Stora Enso. Wenn sie schwächeln, wird es düster.

"Es fehlt eine breite Basis von Klein- und Mittelbetrieben, die sich in den Export wagen", sagt Palfinger. "Da gibt es mentale Barrieren, über Schweden und das Baltikum hinaus zu denken." Finnland erwirtschaftet nur 3,8 von 10 Euros im Ausland, in Österreich sind es 5,3.

"Finnland muss sich stärker nach außen orientieren", sagt Mika Hammarberg von Stora Enso Austria, zugleich Präsident des finnisch-österreichischen Wirtschaftsforums. Aus der nordöstlichen Randlage in Europa sei das aber kompliziert und teuer.

Stichwort teuer: Wegen der hohen Arbeitskosten sind nur Produkte mit großen Margen wettbewerbsfähig. Hohe Lohnsteigerungen haben die Finnen aus dem Weltmarkt gepreist. Bei der Wettbewerbsfähigkeit belegt das Land im jüngsten Allianz-Monitor den vorletzten Platz, knapp vor Italien. 2014 war es für viele Finnen ein Schock, dass Lohnerhöhungen erstmals nahezu abgesagt waren.

Sympathisch, aber eher ungeschickt ist ein typischer Wesenzug der Finnen: Sprücheklopfen ist nicht ihr Metier. "Sie sind die Meister des Nicht-Marketing", sagt Palfinger. Mika Hammarberg lacht zustimmend: "Kommt hin."

Die schwächelnde Wirtschaft ist dominierendes Thema in der Schlussphase des Wahlkampfes. Alle Prognosen sagen für Sonntag einen Regierungswechsel voraus. Die vom farblosen konservativen Premier Alexander Stubb mit den Sozialdemokraten gebildete Vierparteien-Regierung ist unbeliebt wie nie zuvor.

Die wertkonservative Zentrumspartei liegt wenige Tage vor den Wahlen mit vorhergesagten 25 Prozent der Stimmen an der Spitze. Mit jeweils rund 16 Prozent etwa gleichauf rangieren die regierende Sammlungspartei und die Sozialdemokraten. Gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung werden auch der rechtspopulistischen, EU-skeptischen „Partei der Finnen“ unter ihrem Chef Timo Soini eingeräumt.

Weitere Wahlkampfthemen neben der trüben Wirtschaftssituation waren die Ukraine-Krise und infolgedessen eine mögliche Bedrohung durch Russland. So kam auch Finnlands Verhältnis zur NATO (Premier Stubb hatte zuletzt einen Beitritt ventiliert) auf die Tagesordnung. Überdies wurde über den geplante Bau eines sechsten Atomkraftwerkes debattiert.

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