EU-Kommission neu: "Politiker, nicht Bürokraten"

Jean-Claude Juncker
Juncker baut Brüsseler Behörde um – Kritik an britischem Euroskeptiker als Finanzkommissar.

Es war einer jener Auftritte, wie Jean-Claude Juncker sie liebt: Im Pressesaal des Berlaymont-Gebäudes, dem Hauptsitz der EU-Kommission in Brüssel, war kaum noch Platz zum Stehen; im Internet war das Interesse so groß, dass die Live-Übertragung auf der Kommissions-Seite zusammenbrach.

Juncker zelebrierte die Vorstellung seines EU-Regierungsteams: Er scherzte mit dem versammelten Pressekorps, wechselte – wie im Wahlkampf – nahtlos vom Englischen ins Französische, Deutsche und retour und scheute nicht davor zurück, Erwartungen zu wecken: Seine Kommissare "sollen Politiker sein, nicht Bürokraten"; er selbst werde "nicht Befehlsempfänger der nationalen Regierungen" sein; und überhaupt sei dies vielleicht "die letzte Chance" für die EU: "Ich will, dass die Bürger wieder stolz sind auf Europa."

Mächtige Vertreter

Tatsächlich hat Juncker die Struktur der Kommission radikal umgebaut: Er wird sieben mächtige Vizepräsidenten haben (siehe Grafik), die für die Kernthemen Energieunion, Wachstum, Euro-Zone, Digitales und Außenpolitik zuständig sind. Sie koordinieren die übrigen 20 Kommissare und können Projekte jederzeit stoppen, wenn sie in die falsche Richtung laufen. Der niederländische Außenminister Frans Timmermans wird als "Erster Vizepräsident" Junckers direkter Stellvertreter und dessen rechte Hand.

Im Team der Außenbeauftragten Federica Mogherini wird Johannes Hahn in seiner zweiten Amtszeit für Nachbarschaftspolitik und Erweiterung zuständig sein (siehe Artikel unten). Eine kleine Überraschung: Ursprünglich hatte Juncker für Hahn das Ressort Sozialpolitik angedacht, weil Österreich in der EU als Modell für den sozialen Dialog (Stichwort Sozialpartnerschaft) und die Jugendbeschäftigung gilt. Die Regierung wäre mit dem Ressort sehr zufrieden gewesen. Dem Vernehmen nach wehrte sich Hahn heftig gegen dieses Dossier und forderte ein außenpolitisch orientiertes Ressort – mit Erfolg.

Gewinner und Verlierer

Juncker betonte bei der Vorstellung seines Teams, dass er sich von den Regierungen nichts vorschreiben lasse: "Portfolios werden an Personen vergeben, nicht an Nationen." Ein Hinweis auch an jene Länder, die Juncker trotz mehrmaliger Aufforderung keine Frauen schicken wollten – und die nun mit "kleineren" Ressorts bedacht wurden. Zu den Verlierern bei der Verteilung der Kompetenzen zählt Deutschland: Günther Oettinger, bislang Energiekommissar, wird künftig nur für die "Digitale Wirtschaft" zuständig sein – ein klarer Abstieg.

Mit Top-Jobs wurden jene Länder bedacht, die prominente Kandidaten schickten (u. a. Finnland und Lettland mit den Ex-Premiers Katainen und Dombrovskis) und/oder Frauen nominierten (u. a. Dänemark und Slowenien).

Brite Wackelkandidat

Die Juncker-Kommission soll planmäßig Anfang November die Arbeit aufnehmen. Zuvor müssen die Kommissare in knapp drei Wochen Hearings in den Fachausschüssen des EU-Parlaments bestehen – und dann (als Team) von den Abgeordneten gewählt werden. Es ist nicht unüblich, dass dabei noch ein, zwei Kommissare "rausgeschossen" werden. Schon jetzt haben Beobachter in Brüssel einige Wackelkandidaten ausgemacht: Der Spanier Canete dürfte im Parlament "gegrillt" werden – er hat in der Vergangenheit mit frauenfeindlichen Bemerkungen Aufsehen erregt.

Heftige Kritik gibt es auch an der Berufung des Briten und Euroskeptikers Hill zum Finanzkommissar: "In der City of London werden die Champagnerkorken knallen", sagt Evelyn Regner, geschäftsführende Leiterin der SPÖ-Delegation, zum KURIER. "Umso genauer werden wir Lord Hill im Parlament befragen, wie ernst ihm eine Finanzmarktregulierung ist – Stichwort Finanztransaktionssteuer."

EU-Kommission neu: "Politiker, nicht Bürokraten"

Es ist sein Wunsch, die Krisenherde in Osteuropa, die Beitrittskandidaten auf dem Balkan und die Türkei zu betreuen. Als EU-Kommissar kümmert sich Johannes Hahn in den nächsten Jahren um die Durchsetzung europäischer Standards in ehemaligen kommunistischen Ländern.

Neue Beitritte wird es in der Juncker-Kommission bis 2020 nicht geben, das hat der Kommissionspräsident mehrmals betont. Hahn gehört dem Team der EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini an und ist ihr Stellvertreter. Damit ist er noch vor dem Kroaten Neven Mimica gereiht, der das Portfolio für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung übernimmt.

Auf Twitter zeigte sich Hahn "geehrt und begeistert" davon, dass ihn Juncker mit Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen betraut habe. Außerdem freue er sich schon auf die Anhörung im EU-Parlament.

Im Vergleich zum finanzstarken Ressort Regionalpolitik (rund 350 Milliarden Euro für 2009–2014) und die Zahl der Arbeitsplätze, die durch Regionalförderungen seit 2009 bis heute geschaffen worden sind, nämlich 600.000 neue Jobs, hat Hahn künftig nur bescheidene Summen zu verteilen, dafür aber umso mehr Überzeugungsarbeit zu leisten. Nicht nur in den Kandidatenländern, die angehalten sind, die Korruption zu bekämpfen und die Demokratie zu fördern. Er muss auch in den 28 EU-Staaten die Skepsis gegen die Erweiterung um die Balkanländer und die Türkei abbauen.

Die Bundesregierung zeigte sich über die Zuständigkeiten Hahns erfreut. Der Aufgabenbereich passe "gut zu Österreich", sagte Bundeskanzler Werner Faymann. Für Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner ist das Portfolio von Hahn "ein zentraler Punkt der EU-Politik". Außenminister Sebastian Kurz sieht in der Nachbarschaftspolitik eine "tolle Anerkennung für Hahn und für ganz Österreich".

Eines muss man Jean-Claude Juncker lassen: Er handelt. Weg von der Bürokratie, hin zu einer europäischen Regierung, das ist sein mutiger Plan, gewagt hat das bisher noch niemand. "Die EU-Kommission muss politischer werden und die Kernprobleme lösen", forderte er im Wahlkampf immer wieder.

Jetzt setzt er es um. Beschäftigung, Wachstum und Investitionen – das sind die Kernprobleme. Juncker sagt dem "Staat der Arbeitslosen" – 27 Millionen Menschen haben in der EU keinen Job – den Kampf an. Und er will alles tun, dass die Wirtschaft anspringt. Neue Arbeitsplätze, die Regierungen und die Unternehmen schaffen sowie die soziale Dimension sind seine Prioritäten.

Der Blick des luxemburgischen Christdemokraten endet nicht mit den Grenzen der EU, er hat die globalen Herausforderungen (Energiesicherheit, Klimawandel) sowie die Krisen an den Rändern Europas im Fokus.

Kein Wunder, dass die Außen- und Sicherheitspolitik einen starken Stellenwert in der neuen Kommission hat. Zu diesem Diplomaten-Team gehört Johannes Hahn, der sich künftig mit den Brennpunkten der EU, Ukraine, Moldawien und Georgien sowie mit der Erweiterung zu befassen hat. Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass Hahn für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zuständig ist, für ein Land, das die Österreicher partout nicht als Mitglied in der EU haben wollen. Aber vielleicht hat Hahn zum Fall Türkei eine kühne Idee.

Der Start Junckers ist gelungen. Für sein Team und seine Regierungserklärung gibt es Vorschusslorbeeren. Seine Führungsstärke wird an der Umsetzung der Projekte zu messen sein. Sein Erfolg hängt von konkreten Resultaten und der größeren Zufriedenheit der Bürger mit Europa ab.

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