EU empört über London: „Wie ein Falschspieler, der fragt: Wer pokert mit mir?“

Britischer Premier Boris Johnson
Nächste Hürde für die Verhandlungen mit Großbritannien: EU kann angekündigten Rechtsbruch Londons nicht einfach ignorieren

So etwas hat man im Vertrags- und gesetzes-treuen Brüssel noch nie erlebt: Ein britischer Minister, der im Parlament in London frank und frei erklärt, dass man internationales Recht brechen werde.

Konkret geht es um einen für Mittwoch erwarteten Gesetzesentwurf, mit dem London das bereits abgesegnete Brexit-Austrittsabkommen verändern wird. Mit diesem Abkommen waren die Scheidungsmodalitäten des britischen EU-Austritts geklärt worden. Seit Februar ist das Vereinigte Königreich kein Mitglied der Union mehr.

Angesichts der angekündigten, dreisten Abkehr vom bereits ratifizierten Scheidungsvertrag blieb man in der EU einen Moment sprachlos – um dann sofort zu donnern: Da könne man die Verhandlungen zwischen der EU und London über die künftigen Beziehungen ja gleich stoppen, empörten sich einige Abgeordnete des EU-Parlaments.

Und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen warnte besorgt: „Das würde internationales Recht verletzen und höhlt Vertrauen aus“, schrieb sie auf Twitter.

Brüchige Pakttreue

Denn im Fokus steht weniger ein spezielles Gesetz als vielmehr die grundsätzliche Glaubwürdigkeit Großbritanniens. „Wie soll man mit dem Vereinigten Königreich jemals wieder einen Vertrag abschließen, wenn es sich nicht daran hält? Wenn wir uns nie sicher sind: Können wir Pakttreue von London erwarten?“, gibt ein EU-Diplomat zu bedenken. Ein weiterer Rechtsexperte bringt den Vergleich: „Das ist so, als ob ein Casinobesucher beim Eintritt laut ankündigt, dass er falsch spielt und dann fragt: Wer pokert mit mir?“

Bluff oder No-Deal?

EU empört über London: „Wie ein Falschspieler, der fragt: Wer pokert mit mir?“

EU-Chefverhandler Michel Barnier in London

Während der EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier noch bis morgen in London verhandelt, ist in Brüssel vorerst nur eines klar: Weiter verhandeln wie bisher und ignorieren lässt sich dieses Vorgehen der britischen Regierung nicht.

Vorerst weiß niemand, wie der von Johnson beabsichtige internationale Rechtsbruch eingeschätzt werden soll. Blufft der britische Premier wieder, um bei den laufenden Verhandlungen mit Brüssel mehr für Großbritannien heraus zu holen? Oder peilt er ohnehin das Scheitern der Verhandlungen und damit einen No-Deal an – also kein Abkommen, das Großbritannien weiterhin zoll- und tariffreien Zugang zum EU-Binnenmarkt gewähren würde?

Manche in Brüssel vermuten bei Johnson gar das „Trump-Phänomen: Er glaubt einfach, er kann machen, was er will.“

Das aber will ihm nicht einmal ein Großteil seiner Tory-Kollegen zubilligen, die heftig protestierten.

Im nun von Johnson vorgeschlagenen Gesetz ist vorgesehen, dass nordirische Firmen (die ja künftig in der Zollunion bleiben werden) ihre Exporte nach Großbritannien nicht mehr deklarieren müssten. Und auch bei Staatshilfen für nordirische Firmen müsste Brüssel nicht mehr informiert werden.

Für die EU ist das absolut nicht hinnehmbar: Es wäre genau das Unterlaufen jener gemeinsamen Regeln (level playing field) auf die man in der Union so beharrt. Und es sind genau diese Regeln, an denen sich die Verhandlungen bisher so spießten.

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