Ohne Brot keine Würde

Die steigenden Preise für Brot und andere Grundnahrungsmittel empören Millionen Ägypter, deren Not mit jedem Tag größer wird.
Zwei Jahre nach Mubaraks Rücktritt bleiben die Hauptforderungen der Revolution unerfüllt.

Brot, Freiheit, Würde und soziale Gerechtigkeit haben Millionen Ägypter vor zwei Jahren lautstark gefordert. Der Druck der Straße war beeindruckend: Vor 24 Monaten ist Langzeitherrscher Hosni Mubarak zurückgetreten.

Was für viele wie das Ende eines Kampfes ausgesehen hat, war nur die erste Etappe einer langen Revolution, die zwei Jahre später noch nicht beendet ist. Während Ägypter am Montag die Ereignisse des „schönsten Tags“ ihres Lebens (eine Bloggerin) Revue passieren ließen, erschallten am Tahrirplatz und vor dem Präsidentschaftspalast in der Hauptstadt schon die nächsten Rücktrittsforderungen: „Mursi ist der neue Mubarak“, „Mursi tritt zurück“, riefen die Demonstranten, die – spätestens seit 11. Februar 2011 – gegen jede Art von autokratischer Herrschaft allergisch sind.

„Bin nicht Mubarak“

„Ich bin nicht Mubarak“, hat Präsident Mohammed Mursi am Wochenende klargestellt. Er sei demokratisch gewählt. Wer ihn aus dem Amt stoßen wolle, widersetze sich dem Willen des Volkes – das ist das alles schlagende Argument der regierenden Muslimbrüder. Doch die Ägypter stört nicht nur, dass sich Mursi und die Muslimbrüder offenbar mit aller Kraft an der Macht halten wollen. Groß ist auch die Enttäuschung, dass durch die politische Polarisierung des Landes wirtschaftlich nichts weitergeht.

Ende Jänner warnte Armeechef General Abdel Fattah al-Sisi vor einem Zusammenbruch des Staates, wenn die politischen Grabenkämpfe weitergingen. Doch anstatt das als Anlass für produktive Gespräche über dringend nötige Reformen zu nehmen, spekulierte Ägypten, dass das ein Zeichen sei, dass das Militär wieder mehr Macht wolle.

Die Politik redete an den wahren Problemen der Ägypter vorbei. Während im Parlament über Nebensätze im Verfassungstext und Sekundäres wie das Erbrecht diskutiert wurde, schlitterte die Wirtschaft weiter in die Krise.

Nicht mehr einkaufen

Der Pfund fiel immer tiefer, Millionen Menschen stehen ohne Job da. Während sich die Haushalte kaum noch Nahrungsmittel zum täglichen Überleben leisten können, steigen Preise und Steuern.

„Billiger einkaufen können wir nicht mehr“, erklärt Aliaa aus Kairo. „Gar nicht einkaufen wurde für viele zur einzigen Lösung.“ Man isst wieder mit der Familie, manchmal borgt man einander Geld. Aber das solle nicht zur Gewohnheit werden. „Wie kann man denn von ‚Würde‘ sprechen, wenn ich mir nicht einmal Brot kaufen kann?“, fragt Aliaa. Die Hälfte der 83 Millionen Einwohner muss mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag auskommen. Ein Viertel gilt mit einem Dollar pro Tag als „arm“.

Da käme der versprochene IWF-Kredit von 4,8 Milliarden Dollar gerade recht. Doch der Präsident schaffte es noch nicht, den Deal, der an harte Wirtschaftsreformen und Sparmaßnahmen gebunden ist, abzuschließen.

Polizeiwillkür

Aber nicht nur an Wirtschaftsreformen fehlt es in Ägypten. Neben Maßnahmen im Bildungs- und Gesundheitsbereich gehört auch der Sicherheitsapparat umgekrempelt. Oppositionelle fürchten nach wie vor Polizeiwillkür, Gewalt und Folter.

Brot? Freiheit? Würde? Soziale Gerechtigkeit? Keine der Hauptforderungen aus der Revolution scheint im Land am Nil erfüllt geworden zu sein. „Wir haben keine andere Wahl, als auf der Straße zu bleiben“, sagt Aliaa.

Eigentlich wäre es ein Tag zum Feiern: Heute vor zwei Jahren musste Hosni Mubarak, Inbegriff des arabischen Autokraten, dem Druck der Straße weichen. Kurz zuvor hatte es den Kleptokraten Ben Ali in Tunesien erwischt. Später sollte der verhaltensauffällige libysche Diktator Gaddafi vom Revolutions-Mob entleibt werden. – Der Westen bejubelte den „Arabischen Frühling“ als Aufstand für Demokratie und Freiheit nach der Finsternis des – mitunter vom selben Westen unterstützten – arabischen Despotentums.

Doch die Binsenweisheit vom Frühling, auf den irgendwann auch ein Herbst folgt, hat sich in der Region schnell bewahrheitet. Statt Demokratie nach naiv westlichen Vorstellungen hielt nur eine andere Form der autoritären Macht Einzug: In Ägypten regieren die Muslimbrüder, in Tunesien die scheindemokratische Islamistenpartei Ennahdha. Von Libyen aus strömen Radikale in den Norden Afrikas. Und in Syrien, wo aus dem Frühling gleich ein blutiger Bürgerkrieg geworden ist, ist die einzige bange Frage die, was nach Assad kommt – die Salafisten und andere Radikale stehen Gewehr bei Fuß und haben bald vielleicht noch ganz andere Waffen.

Das alles hat viel damit zu tun, dass es den Demokratie-Aufstand in der arabischen Welt in dieser Form gar nicht gibt. Die ist islamisch. Kaum jemand, bis auf eine auffällige Minderheit, strebt danach, just die westlichen Lebensformen zu übernehmen. Die Proteste sind welche gegen fehlenden Wohlstand und die abermalige Knechtung. Das, worum in diesem Arabischen Herbst gerungen wird, ist zudem die Verteilung der Macht. Und die Ausrichtung des Islam: ein traditioneller und trotzdem offenerer; oder ein radikaler, in strengster Auslegung von Koran und Scharia – Winter sozusagen. Im Moment ist es gerade sehr kalt.

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