Optimismus in Zeiten des Missvergnügens

Geht jetzt alles den Bach runter? Lassen wir doch die Kirche im Dorf und nutzen die Krise für Reformen.
Martina Salomon

Martina Salomon

Die Welt ist besser als ihr Ruf.

von Dr. Martina Salomon

Martina Salomon über den globalen Fortschritt

"Never let a good crisis go to waste", soll Winston Churchill einst gesagt haben. Sprich: Die Krise ist eine Chance auf Veränderung. "Denk positiv!" Leider befinden wir uns in einer Phase des Missvergnügens. Europa tanzt auf dem Vulkan, Österreich besonders. Wer beobachtet, wie in Deutschland die Stimmung gegenüber den Asylwerbern gerade kippt, kann sich ausmalen, wie es demnächst in Österreich ausschauen wird. Der Rückstau wächst, weil der große Nachbar den (fahrlässig selbst erzeugten) Zustrom zu drosseln versucht. Ja, wir werden die Zahl der heuer Ankommenden irgendwie bewältigen. Aber was ist, wenn das so weitergeht? Geht dann alles den Bach runter?

In solch schwierigen Zeiten tut es gut, Optimisten zu treffen. So einen – den schwedischen Medizinprofessor Hans Rosling – hat die Industriellenvereinigung vor einigen Tagen nach Wien eingeladen. Sein erfrischendes Credo: Die Welt ist besser als ihr Ruf. Achtzig Prozent aller Menschen haben Elektrizität, neun von zehn Mädchen weltweit bekommen Schulbildung – viel mehr als gedacht. Tatsächlich nehmen Kindersterblichkeit, Hunger und Armut rapide ab, das zeigen alle Studien. Auch der europäische Blick auf Afrika ist zu pessimistisch. Viele afrikanische Länder erleben einen Aufschwung, gewinnen an Bildung und Wertschöpfung.

Faktum ist: Der Menschheit ging es noch nie so gut wie jetzt. Wir in Österreich jammern auf besonders hohem Niveau. Doch um dieses Niveau zu halten, bedarf es Anstrengungen. Österreich galt zum Beispiel immer als Vorzeigeland für geringe Jugendarbeitslosigkeit, die "duale Ausbildung" (in Schule und Firmen) ist top. Aber wenn Unternehmen und Behörden es nicht mehr schaffen, ausreichend junge Leute zu finden, die lesen und schreiben können, dann ist Feuer am Dach. Und wenn die Industrie wegen zu hoher Lohn- und Energiekosten schleichend aus Österreich (und Deutschland) abwandert, dann ist Schluss mit lustig.

Viele Österreicher sind träge geworden, haben wenig Kinder, leisten sich eine globalisierungskritische Attitüde und vergessen dabei, dass wir im Paradies leben – noch. Auch wenn aus ideologischen Gründen oft anderes erzählt wird: Der Wohlfahrtsstaat Österreich sorgt für Gerechtigkeit. Sollte in nächster Zeit die Kluft zwischen Arm und Reich steigen, dann ist das nicht das Versagen raffgieriger Eliten, sondern eine Folge von Migration. Diese war in den vergangenen Jahrzehnten keine Katastrophe: Ohne Zuwanderer wäre die Arbeit am Bau, im Spital und anderswo längst zusammengebrochen. Nur ein Beispiel: Am Flughafen Wien (samt Töchterbetrieben) arbeiten 5300 Mitarbeiter aus 52 Herkunftsländern und zumindest 18 Religionsgemeinschaften relativ reibungslos miteinander. Kann sein, dass diese friedliche Koexistenz im Land bald gefährdet ist. Nehmen wir daher die Krise zum Anlass, nicht nur die Integrationspolitik Österreichs auf neue Beine zu stellen.

martina.salomon@kurier.at

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