Die Schotten sagen "Nein" und Brüssel atmet tief durch

Die schottische Flagge (re.) bleibt auch weiterhin Teil des Union Jack
Nach dem Unabhängigkeitsreferendum in Großbritannien erspart sich die EU einigen Ärger. Unangenehme Debatten über regionale Autonomie und mögliche Abspaltungen darf sie sich deswegen aber nicht ersparen.
Philipp Hacker-Walton

Philipp Hacker-Walton

Die EU muss sich mit dem aufkeimenden Nationalismus befassen

von Philipp Hacker-Walton

über das schottische Referendum

Parlamentspräsident Martin Schulz sprach am Freitagmorgen aus, was sich wohl viele in Brüssel nach dem schottischen Referendum denken: "Ich gebe zu, mich erleichtert das Ergebnis", sagte Schulz dem Deutschlandfunk. Aus europäischer Sicht erspart es der Union nämlich - zumindest vorübergehend - einige Unannehmlichkeiten.

Im Kleinen einen stark geschwächten britischen Premier David Cameron, dessen angezählte Regierung nach einem "Ja" der Schotten womöglich aus innenpolitischer Panik heraus noch mehr versucht hätte, mit Anti-Brüssel-Politik zuhause auf der Insel zu punkten.

Im Großen die Frage, wie ein Land, das durch die Abspaltung von einem EU-Mitglied entstanden ist, Teil der Union bleiben bzw. wieder werden kann. Der offizielle Duktus der EU-Kommission dazu war immer: Ein abgespaltenes Land ist ein neues Land und müsste sich, so wie andere Drittstaaten, um den EU-Beitritt bewerben. Das muss man so oder so ähnlich sagen, wenn man Separatisten nicht ermutigen will. Aber nüchtern und europäisch betrachtet hätte niemand vernünftigerweise ein Interesse daran haben können, ein Land wie Schottland, das "Nettozahler" ist und dessen Rechtssystem ohnehin seit Jahrzehnten auf Unionsrecht abgestimmt ist, unnötig lange vor der Türe stehen zu lassen.

Die Streitfrage wäre demnach bei einem schottischen "Ja" auch nicht gewesen, ob man die Schotten (wieder) in er EU haben will - sondern, wie man sie dabei hat, ohne anderen abspaltungswilligen Regionen das Signal zu senden, man könne sich ohne weiteres selbstständig machen und trotzdem in der EU bleiben.

Die "klassische" Reaktion der EU-Staaten - "Gut is' gangen, nix is g'schehn" - wäre jetzt aber ein schwerer Fehler: Die EU muss sich damit befassen, wie sie mit dem aufkeimenden Regionalismus/Nationalismus in einigen Mitgliedsstaaten umgeht. Dazu gehört einerseits die Debatte, wie und welche Kompetenzen "näher an die Menschen", also an die Nationalstaaten und die Regionen, (zurück)gegeben werden sollen/können/müssen. Und andererseits muss auch die Frage gelöst werden, was im Falle einer Abspaltung passiert. Warum nicht ein "gemeinsames Sorgerecht", bei dem im Falle einer Trennung beide Landesteile (vorerst) Teil der EU bleiben?

Allzu lange kann sich die Union diese Diskussionen ohnehin nicht ersparen: Am 9. November werden in Katalonien die Menschen befragt, ob sie noch länger Teil von Spanien bleiben wollen oder nicht. Nachdem die Regierung in Madrid diese "Konsultation" nicht als bindendes Referendum anerkennt und eine Abspaltung damit nicht unmittelbar im Raum steht, ist bei einem "Ja" der Katalanen die Debatte darüber, was weiter zentral und was besser regional geregelt werden soll, vorprogrammiert. Wenn sie gut geführt wird, kann sich Brüssel vielleicht sogar etwas davon abschauen.

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