"Ziesel verkommen zu Spielball der Politik und Wirtschaft"

Impressionen aus dem neuen Bildband
WTV: Stadt Wien und Bauträger ignorieren trotz Einwänden der EU-Kommission hunderte Tierleben.

Hunderte Leben strengstens geschützter Nagetiere dienen in Österreich derzeit als Spielball der Interessen von Politik und Wirtschaft: Wie bereits bekannt, muss eines der allerletzten Vorkommen der strengstens geschützten Ziesel in Europa entgegen den Schutzbestimmungen der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH), die im EU-Recht verankert ist, einem Megabauprojekt weichen. Im Detail geht es dabei um die Verbauung von Grundstücken hinter dem Heeresspital im 21. Wiener Gemeindebezirk, wo die Nagetiere ihren Lebensraum haben. Es handelt sich um eines der größten und vitalsten Zieselvorkommen Europas. Hinzu kommt, dass die Ziesel auf Platz Eins der Roten Liste der gefährdetsten Tierarten Österreichs stehen.

Der Wiener Tierschutzverein (WTV) sowie viele andere Tierschützerinnen und Tierschützer kämpfen seit Jahren darum, den Lebensraum der Ziesel zu erhalten und fordern die Bereitstellung einer Ausgleichsfläche für das Bauvorhaben. Trotz Baulandreserven in Höhe von über zwei Millionen Quadratmeter kommt diese Option für die Stadt Wien und die zuständige Wiener Umweltschutzabteilung (MA 22) nicht in Frage. Der Masterplan stattdessen: Die Ziesel sollten mittels so genannter Zieselbrücken auf die andere Seite des Marchfeldkanals umgesiedelt werden.

Wie die Behörde nun kürzlich meldete, sei eine Verlagerung der Ziesel feststellbar, auf einzelnen Baufeldern gäbe es bereits kaum noch Besiedelung. Daher wurden Genehmigungen für Vorarbeiten auf rund einem Drittel des Areals erteilt - unter strengen Auflagen, versteht sich. Die EU-Kommission äußert sich in einer Antwort auf eine aktuelle Anfrage zu dieser Causa jedoch anders: "Dem neuesten Bericht zufolge hat die Maßnahme bei der Umsiedlung der Ziesel noch nicht zum angestrebten Ergebnis geführt", heißt es dort laut WTV-Aussendung. Auch die Berichte der ökologischen Aufsicht sprechen eine andere Sprache: So habe sich der Zieselbestand auf der Projektfläche seit 2014 kaum verändert, der Bestand auf den durch die Zieselbrücke verbundenen Ausgleichsflächen nehme dementsprechend nicht zu, die Anzahl der Zieselbaue dort habe gar von zwölf auf neun abgenommen.

Ein von der Stadt Wien im Jahr 2014 veröffentlichter Zieselaktionsplan, der eigentlich die Grundlage für den langfristigen Erhalt der Ziesel in Wien bilden sollte, benachteiligt just jenes Vorkommen am Marchfeldkanal, wie der WTV am Donnerstag in einer Aussendung mitteilte. Auf die Frage nach einer Erklärung für diese Benachteiligung heißt es in der Stellungnahme der EU-Kommission: "Die Kommission weiß nicht, warum der Wiener Ziesel-Aktionsplan keine Vorschriften für aktive Fördermaßnahmen zum Schutz der Population dieser Art in der Umgebung des Heeresspitals enthält. Sie möchte jedoch darauf hinweisen, dass die Vorschriften der FFH-Richtlinie einschließlich Artikel 12, wonach ein 'ein strenges Schutzsystem' eingeführt werden muss, das unter anderem jede Beschädigung oder Vernichtung der Fortpflanzungs-und Ruhestätten verbietet, durch einen nicht rechtsverbindlichen Aktionsplan nicht außer Kraft gesetzt werden kann."

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