"Weg vom Rotkäppchen-Denken"

Symbolbild
Wölfe und Bären werden in Österreich in Zukunft noch häufiger auftreten, sagen Experten.

In Österreich einem Wolf in freier Wildbahn zu begegnen, kommt der Wahrscheinlichkeit eines Lotto-Sechsers ziemlich nahe. Max Walch hatte Anfang der Woche eine dieser seltenen Begegnungen am Arlberg. "Ich war am Hochsitz, da habe ich ihn am Horizont gesehen", erzählt der 23-jährige Jäger aus Lech.

Noch viel erstaunlicher: Walch hatte bereits im Sommer in der Gegend einen Wolf gesichtet und sogar gefilmt. Es dürfte sich um das selbe Tier gehandelt haben. Dieses Mal war die Aufregung allerdings größer: Der Wolf hat wohl Nutztiere auf zwei Almen – zwei Ziegen und ein Schaf – gerissen. Gewissheit bringt erst ein DNA-Test.

Mensch ist keine Beute

"Weg vom Rotkäppchen-Denken"
Dass es zu Konflikten kommen wird, hat Hubert Schatz, Wildbiologe des Landes Vorarlberg, bereits im Frühjahr prophezeit, als es erste Sichtungen gab. Auch im Montafon dürfte ein Tier herumstreifen. "Es handelt sich vermutlich um Wölfe aus dem Calanda-Massiv in Graubünden", sagt Schatz. Dort zeige sich ein Wolfspaar äußerst reproduktionsfreudig. Heuer gab es bereits den dritten Wurf.

Auch in Kärnten sorgte ein Meister Isegrim für Aufsehen: Im Mai erlegte ein Bauer in Greifenburg in seinem Stall einen Wolf. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob es zu einer Anklage gegen den Schützen kommen wird.

"Wir müssen uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir es in Zukunft häufiger mit Wölfen zu tun bekommen", sagt Georg Rauer, Wolfsbeauftragter der Veterinärmedizinischen Uni Wien. In den Westalpen seien 35 Rudel bekannt und jede dieser "Familien" produziere jährlich bis zu acht Welpen.

Der Wolf: Scheues Wildtier mit schlechtem Ruf

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SWITZERLAND ANIMALS
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Chingiz, a male Siberian forest wolf, looks on ins
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Wolfswelpen im Eberswalder Zoo
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Wölfe in Brandenburg
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Chingiz, a male Siberian forest wolf, growls insid
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Wolf
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WOLF-NACHWUCHS IM TIERGARTEN SCHÖNBRUNN
"Weg vom Rotkäppchen-Denken"

Switzerland Zoo

Diese würden im Alter von ein bis zwei Jahren ausgestoßen und begeben sich auf eine mitunter lange Wanderschaft. Auf der Suche nach Weibchen streife beispielsweise seit zwei Jahren ein Wolfsrüde durch die Region Gleinalm (Steiermark), erzählt Rauer. Sein Liebesglück dürfte auch ein Artgenosse im Gebiet Schneeberg, NÖ, noch nicht gefunden haben. "Inzwischen ist er zum Wechsel weitergezogen." Von jenem Wolf, der am Zwölferhorn bei St. Gilgen (Salzburg) ein Schaf gerissen hat, fehlt jede Spur. "Wölfe können pro Jahr viele hunderte Kilometer wandern. Erst wenn sie einen Partner und den passenden Lebensraum finden, lassen sie sich nieder."

In Österreich biete sich der alpine Raum an, auch weil es dort genug Futter in Form von Wild und Almvieh gibt. Für den Menschen bestehe aber keine Gefahr, betont Rauer: "Für den Wolf sind wir keine Beutetiere. Das hat er nach Jahrhunderten der Verfolgung und Ausrottung im Blut." Bei einer zufälligen Begegnung rät der Experte: "Vorsichtig bewegen, damit er einen wahrnimmt und mit fester Stimme ansprechen. Dann flüchtet er im Normalfall sofort." Zu hundert Prozent sicher könne man sich aber – wie bei seinem Verwandten Hund – nie sein, merkt er an.

"Normalerweise hält sich der Wolf aber vom Rotkäppchen fern", beruhigt der oö. Umweltanwalt Martin Donat. Dass ein gedeihliches Zusammenleben möglich sei, zeigen etwa die Schweiz, Italien und Deutschland. Donat: "Auch wir sollten endlich weg vom Rotkäppchen-Denken."

Verschollene Luchse

Ängste gibt es auch vor dem EU-weit streng geschützten Luchs. Ansiedlungsprojekte beklagen das Verschwinden einzelner Exemplare. "Wir vermissen bereits drei Kuder (männliche Luchse, Anm.)", sagt Erich Mayrhofer, Direktor des oö. Nationalparks Kalkalpen. Vor allem der bei der Auswilderung 2011 extra mit Peilsender bestückte Luchs "Juro" lasse die Befürchtung zu, dass er Wilderern zum Opfer gefallen sei. "Seit 14 Monaten empfangen wir kein Peilsignal, es gibt auch keine Spuren von Rissen oder Fotofallen." Das LKA ermittelt. Die Akzeptanz für die Ansiedlung von Luchsen habe sich in jüngster Zeit aber stark gebessert. "92 Prozent der Bevölkerung stehen dem positiv gegenüber."

Der Luchs: Samtpfote mit Pinselohren

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Luchsnachwuchs
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LUCHS-FAMILIE IM ALPENZOO
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Luchse im Tierpark Sababurg
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Harzer Luchs in die Lüneburger Heide gewandert

In Kärnten wird nach dem mutmaßlichen Tod des letzten Luchses vorerst kein Tier mehr angesiedelt. Es ist aber zu erwarten, dass sich wieder welche nach Österreich "verirren", weil Slowenien und Italien im Rahmen eines EU-gestützten Ansiedlungs-Projekts den Bestand aufstocken. In Sachen Wildtiere ist man sensibilisiert, weil diesen Sommer Bären für Schlagzeilen sorgten. Abgerechnet wird zwar erst nach dem Almabtrieb am 28. September, aber Bärenanwalt Bernhard Gutleb rechnet mit einer "Sommerbilanz" von 50 Schafrissen und zehn geplünderten Bienenstöcken: "Das entspricht dem Schnitt der letzten Jahre."

Seit Wölfe in den 1980er-Jahren unter Schutz gestellt wurden, treten sie auch in Österreich wieder häufiger auf. Von Naturschützern werden sie als Bereicherung gesehen, von Landwirten und Jägern meist als Bedrohung für Almvieh und Wild. Reißt ein Wolf ein Tier, gilt das nicht als Wilderei. In den Ländern gibt es aber unterschiedliche Regelungen zum Schadenersatz. Salzburg hat dafür einen Fonds, ähnlich ist es in Vorarlberg. In Ober- und Niederösterreich gibt es eine Versicherung der Jägerschaft, in Kärnten und Tirol zusätzlich einen Landesfonds. Bei gefundenen Kadavern muss eine DNA-Untersuchung den Nachweis bringen, bei vermissten Tieren gibt es Kulanzlösungen.

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