Lawinenunglück: Vorwürfe gegen Alpenvereins-Bergführer

Mit Hubschraubern wurden sieben Überlebende des Unglücks am Donnerstagvormittag ins Tal gebracht. Sie mussten die Nacht in einer Hütte am Berg verbringen.
Drei Lawinentote in Frankreich, der Staatsanwalt ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.

Bereits am Donnerstagvormittag saß der Schock tief. Alpenvereinspräsident Andreas Ermacora musste immer wieder um Fassung ringen, als er versuchte, die Ereignisse des Vortags in den französischen Alpen zu schildern. „Im Rahmen eines Projekts des Österreichischen Alpenvereins (OeAV) sind drei junge Menschen gestorben“, sagte Ermacora schließlich mit tränenerstickter Stimme bei einer Pressekonferenz im Hauptquartier des Vereins in Innsbruck. Eine Lawine hatte am Mittwoch eine elfköpfige Gruppe am Col Pic Emile bei Pelvoux mitgerissen.

Donnerstagabend kam der nächste Schock. Zwei österreichische Bergführer, die auf der Tour neun Mitglieder des OeAV-Programms „Junge Alpinisten“ begleitet hatten, wurden auf Anordnung der zuständigen Staatsanwaltschaft in Gap festgenommen. Es soll überprüft werden, ob die Männer, die sich als Bergführer bezeichnet haben, nach der Gesetzeslage als solche tätig werden durften, sagte der Staatsanwalt. Ermittelt werde wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Sie wurden am frühen Abend wieder enthaftet. Am Freitag müssen sie erneut zu einer Befragung erscheinen.

Lawinenunglück: Vorwürfe gegen Alpenvereins-Bergführer
ABD0028_20150402 - INNSBRUCK - ÖSTERREICH: ZU APA0139 VOM 2.4.2015 - Der Präsident des Österreichischen Alpenvereins, Andreas Ermacora, zeigt am Donnerstag, 02. April 2015 in Innsbruck im Rahmen einer PK Fotos der Stelle des Lawinenunglücks. Bei dem Unglück in den französischen Alpen kamen am Mittwochnachmittag drei Alpinisten ums Leben. - FOTO: APA/ANGELIKA WARMUTH
Ermacora, selbst Jurist, wollte nicht von einer „dramatischen“ Situation sprechen: „Es ist in Frankreich so, dass Verdächtige während der laufenden Ermittlungen 24 bis 48 Stunden festgehalten werden dürfen, auch wenn es sich um ein Fahrlässigkeitsdelikt handelt. Das wäre bei uns denkunmöglich.“ Es wäre aber ganz normal, dass nach einem Lawinenunglück ermittelt werde. Ermacora zufolge sind beide „geprüfte Bergführer nach dem Bergführergesetz“. Sie seien deshalb befugt, in allen Mitgliedsländern des Bergführerverbandes, darunter auch Frankreich, tätig zu sein.

Bei Warnstufe 3

Die ersten Informationen über das Lawinen-Drama gingen am Mittwoch um 17.55 Uhr beim OeAV ein. Das Unglück ereignete sich gegen 14.30 Uhr auf rund 3350 Metern nahe der Ecrins-Hütte. Die elfköpfige Gruppe hatte bereits einen Abstieg mit Steigeisen über pickelharten Schnee hinter sich. Die Teilnehmer wollten für die Abfahrt zur Hütte die Ski anlegen, als sich ein hartes Schneebrett gelöst hat, berichtete Ermacora. Alle Tourengeher wurde von der 80 Meter breiten und 250 Meter langen Lawine mitgerissen und ganz oder teilweise verschüttet. Zum Zeitpunkt des Unfalls herrschte erhebliche Lawinengefahr (Stufe 3). Drei starben, darunter der 23-jährige Salzburger Frank O.

„Bergsteigen, Eisklettern, Skifahren – es gab nichts, was er nicht konnte. Ich habe mich nie um ihn fürchten müssen, weil er immer perfekt ausgerüstet und körperlich fit war“, erzählt Vater Franz im KURIER-Gespräch über seinen tödlich verunglückten Sohn. „Es war wohl höhere Gewalt.“ Frank studierte Jus in Salzburg und war beim Alpenverein Tourenführer.

Lawinenunglück: Vorwürfe gegen Alpenvereins-Bergführer
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Vater übt Kritik

Seine Familie hat am Mittwochabend von der Tragödie erfahren. Die Mutter ist sofort nach Frankreich gefahren, um die Leiche zu identifizieren. Vater Franz sitzt seither zu Hause in Eugendorf auf Nadeln. „Ich weiß nichts genaues, muss immer wieder im Internet und im Teletext schauen. Das Warten ist das Schlimmste. Ich will wissen, was mit meinem Sohn passiert ist.“ Ermacora kann die Kritik an der Krisenkommunikation des Alpenvereins auf Nachfrage nicht nachvollziehen: „Wir haben getan, was möglich war.“

Die beiden Todesopfer sind der 22-jähriger Wiener Matthias L. und der Südtiroler Martin P. (24). Ein junger Tiroler wurde schwer verletzt in die Klinik nach Grenoble gebracht. „Er schwebt in Lebensgefahr und wurde in künstlichen Tiefschlaf versetzt“, teilte Ermacora mit.

Lawinenunglück: Vorwürfe gegen Alpenvereins-Bergführer
Illustration Arten von Lawinen mit Factbox, Illustration Notausrüstung Grafik 0411-15-Lawine.ai, Format 88 x 215 mm
Die Tourengruppe bestand aus den zwei Bergführern, die unverletzt blieben, und neun Mitgliedern des Programms „Junge Alpinisten“, unter ihnen sechs Tiroler im Alter zwischen 20 und 42 Jahren, ein Steirer, ein Deutscher und die tödlich verunglückten Sportler aus Salzburg, Wien und Südtirol. Die Überlebenden mussten die Nacht auf der Ecrins-Hütte verbringen.

Donnerstagfrüh erreichte Konsul Hartwig Bock – von der Österreichischen Botschaft in Paris kommend – die Unfallregion. Er kümmerte sich sofort um den Abtransport der Österreicher vom Unglücksberg. Bock: „Alle Teilnehmer der Tour kannten sich sehr gut, sie waren befreundet. Schock und Trauer sind intensiv.“ Neben einer französischen Psychologin stand auch ein Psychologe des Alpenvereins zur Verfügung.

Der Österreichische Alpenverein bietet interessierten jungen Bergsteigern die Möglichkeit, von Weltklasse-Alpinisten zu lernen. Auch die Reise nach Hautes-Alpes diente der Ausbildung. Im Zuge der mehrtägigen Tour war geplant das Ecrins-Massiv zu durchqueren. Die verunglückte Gruppe umfasste Jung-Alpinisten zwischen 20 und 25 Jahren, sowie zwei staatlich geprüfte Bergführer aus Österreich.

Alpenvereins-Projektleiter Matthias Pramstaller erklärt die Hintergründe: „Ziel ist es, den Nachwuchs im alpinistischen Bergsteigen zu unterstützen. Nicht alle Sektionen haben genügend Ressourcen für eine eigene Jugendabteilung.“ 2014 wurden zwölf junge und für ihr Alter bereits sehr erfahrene Bergsteiger für das zweijährige Programm „Junge Alpinisten“ ausgewählt. Sie haben seither gemeinsam zahlreiche Touren unternommen. Neun Mitglieder des Teams waren in Frankreich mit dabei.

Laut der französischen Tageszeitung le figaro kommen in der Alpenregion Hautes-Alpes pro Saison etwa 30 Bergsteiger bei Unfällen ums Leben. Inklusive dem Bergdrama von Mittwoch starben 2014/15 in dem Gebiet bereits 34 Alpinisten.

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