Die Terrorangst der Staatsanwälte

Im Fokus: Ein Staatsanwalt in Graz verantwortete die Anti-Terror-Aktion. Er soll unter Polizeischutz stehen.
Die Behördenvertreter fürchten Trittbrettfahrer und fordern Anonymität vom Minister.

Österreichs Staatsanwälte wollen anonym bleiben. Die in Dschihadisten-Verfahren involvierten Ankläger sind nervös und gehen in Deckung.

Ein Beispiel aus dem Redaktionsalltag: "Das ist eine Kriegserklärung", erklärte eine leitende Staatsanwältin einem KURIER-Redakteur. Stein des Anstoßes für ihre gewagte Ansage war ein Bericht über die von ihr persönlich verfasste erste Terror-Anklage gegen einen mutmaßlichen Dschihadisten, in dem sie mit vollem Namen erwähnt wurde. Die erfahrene Behördenleiterin, die aufgrund ihrer Funktion ohnehin einer Öffentlichkeit bekannt ist, bat daraufhin das Justizministerium um Intervention. Eine Ministeriumssprecherin ersuchte, den Namen aus dem Online-Bericht zu streichen. Dem Wunsch kam die Redaktion umgehend nach.

Das Verhalten wird Schule machen. Erst am Montag tagte die Vereinigung der österreichischen Staatsanwälte. Erster Punkt auf der Agenda der Standesvertreter: Ein angepasster Umgang mit den inflationären Dschihadisten-Verfahren. Man bittet Justizminister Wolfgang Brandstetter um Hilfe im Bestreben, die Namen der mit diesen Fällen befassten Staatsanwälte "herauszuhalten", wie Präsident Gerhard Jarosch im Gespräch mit dem KURIER ankündigt: "Wir befürchten nicht, dass Taliban-Organisationen die Berichterstattung zu Attentaten nützen würden. Die finden ohnehin heraus, wer bei uns wofür zuständig ist." In Sorge sei man vor Trittbrettfahrern: Solche würden womöglich aufgestachelt, wenn bekannt wird, "welcher Staatsanwalt, noch dazu eine Frau, einen ,Bruder im Glauben‘ angeklagt hat."

Und wenn Staatsanwälte bedroht werden, "werden wir keine Leute mehr für diesen Job bekommen", befürchtet Staatsanwalt Jarosch. Die Nachfrage unter Juristen ist ohnehin schon gering.

Polizeischutz?

Paradebeispiel für die Geheimhaltung ist der Staatsanwalt in Graz, der 14 Terrorverdächtige festnehmen ließ und einen groß angelegten Schlag gegen ein mögliches Netzwerk aus potenziellen Kämpfern und Ideologen zu verantworten hat – und der unter strengem Polizeischutz stehen soll. Doch das bleibt top secret. Selbst das bestätigt Behördensprecher Hansjörg Bacher nicht. "Die entsprechende Beurteilung ist Sache der Polizei und der betroffenen Personen und meiner Ansicht nach nicht für eine Diskussion oder Verbreiterung in der Öffentlichkeit geeignet."

Freilich: Ein Staatsanwalt handelt im Namen der Republik, ist also ein Organ. Schwebt aber ein heimischer Behördenvertreter angesichts der Terroraufrufe durch die Miliz Islamischer Staat in Gefahr, dann wäre das eine wichtige Information für die Öffentlichkeit.

Akute Sicherheitsbedenken lösten die in U-Haft befindlichen Dschihadisten auch in der Justizanstalt Graz-Jakomini aus. Dort sitzen die jüngst in einer groß angelegten Anti-Terror-Aktion festgenommenen Verdächtigen in U-Haft. Von der Gefängnisleitung verlangte ein Justizwache-Gewerkschafter mit Nachdruck, den Islamisten eine Teilnahme am – nicht wie üblich wöchentlichen sondern ein Mal monatlich stattfindenden – gemeinsamen Freitagsgebet zu untersagen. Zu riskant, befanden Teile der Justizwache. Der Häfen-Chef segnete das Teilnahme-Verbot ab. Sicherheitsoffizier Manfred Ulrich betont, dass die Religionsausübung jedem, wie vom Gesetz garantiert, freistehe. Allerdings nicht Schulter an Schulter. "Wir haben unsere Vorkehrungen an die Sicherheitslage angepasst", betont Ulrich. Er sagt aber auch: "Ein extremes Sicherheitsrisiko stellen sie nicht dar."

Ähnlich dürfte das auch die Grazer Haftrichterin sehen. Von 14, im Zuge der Anti-Terror-Aktion Festgenommenen, befinden sich nur mehr vier in Untersuchungshaft. Darunter ist der Hauptverdächtige, der radikale Prediger Ebu Tejma. Bei den Entlassenen sei der "Tatverdacht weggefallen", ließ das Landesgericht Graz wissen.

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Gleich nach der Festnahme von 14 mutmaßlichen Dschihadisten sprach Justizminister Wolfgang Brandstetter von konsequentem Vorgehen und verwies auf die bis zu zehn Jahre Haft, die überführte Täter erwarten. Man kann über so ein, auch von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner gern gepflogenes dramaturgisches Timing, geteilter Ansicht sein. Aber das angekündigte konsequente Vorgehen verträgt sich schlecht mit dem Bestreben der Terror-Ankläger, in Deckung zu gehen.

Kein seriöser Journalist würde das Privatleben des Staatsanwalts, der gegen mutmaßliche Terroristen ermittelt, ausbreiten. Selbstverständlich ist das Schutzbedürfnis der handelnden Personen zu wahren. Aber dass der zuständige Staatsanwalt im Verfahren gegen mutmaßliche Dschihadisten Polizeischutz bekommt und welches Bedrohungsszenario dieser Maßnahme zugrunde liegt, hat die Öffentlichkeit sehr wohl zu interessieren. Ebenso, dass eine Behördenleiterin persönlich die erste Terror-Anklage verfasst hat und wie sie den Angeklagten einschätzt. Solche Ermittlungen samt Begleitumständen sind kein Staatsgeheimnis. Sie sagen ja auch etwas über das vorherrschende Gefahrenpotenzial aus.

Das scheint sich übrigens nach genauerem Hinschauen zu relativieren: Von den 14 festgenommen Terrorverdächtigen wurden zehn bereits enthaftet.

Dem UN-Antiterror-Experten David Scharia zufolge ist eines jener beiden Schulmädchen, die sich in Syrien der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen haben sollen, ums Leben gekommen. Das andere Mädchen soll verschwunden sein. Das sagte Scharia dem israelischen Internetportal ynet. Das Innenministerium bestätigt die Meldung nicht.

Die Geschichte von Samra K. und Sabina S. schlug hohe Wellen. Internationale Medien schnappten bisher unreflektiert jedes Gerücht über die Verschwundenen auf – oft ohne eigene Recherche. Woher Scharia, der Mitglied des Anti-Terror-Komitees des UN-Sicherheitsrates ist, seine Informationen hat, geht im Interview nicht hervor. Bisherige Meldungen Scharias hielten einer Prüfung durch heimische Behörden nicht stand. Ein mit dem Fall betrauter Verfassungsschützer hält „jede Meldung für die beiden Mädchen für gefährlich“. Denn da sie hohe Prominenz in westlichen Medien erlangt haben, stehen sie womöglich unter der Beobachtung der Terrormiliz Islamischer Staat.

Die Namen der Wienerinnen fallen derzeit häufig im Zusammenhang mit Ebu Tejma. Der Salafisten-Prediger, der in Wien festgenommen wurde, sitzt derzeit in U-Haft. Er hatte im Vorfeld zwei Zeitungen, die ihm die Rekrutierung der Mädchen vorgeworfen haben, geklagt – und (nicht rechtskräftig) Recht bekommen. Jetzt wirft ihm die Staatsanwaltschaft Graz Rekrutierung und Terrorfinanzierung vor. Beides streitet der 33-Jährige ab.

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