"Vernaderung" ist kein Einzelfall

Christopher Pirker und Katharina Schlößl gehen gern ins Weinlandbad, Probleme haben sie noch nie erlebt, Aufregung und Maßnahmen scheinen ihnen übertrieben
Nach widerlegtem Missbrauchsverdacht rudert die Gemeinde zurück und sucht den Weg zur Normalität im Alltag.

"Wir fühlen uns im Bad sicher, es gab nie irgendwelche Probleme. Die Maßnahmen waren übertrieben", finden Christopher Pirker und Katharina Schlößl, die Dienstagnachmittag wie viele andere auch aus dem Weinlandbad in Mistelbach im niederösterreichischen Weinviertel schlendern. Auch die meisten anderen Gemeindebürger, die der KURIER beim Bad oder im Stadtzentrum befragte, sehen das so.

Ende Juni war dort der Aufruhr nach dem angeblichen Missbrauch eines 13-jährigen Mädchens durch einen Asylwerber in einer Umkleidekabine des Bades enorm. Jetzt, da die Polizei klären konnte, dass das Kind den Vorfall frei erfunden hatte – wohl, weil es in einer familiär schwierigen Situation Aufmerksamkeit suchte – rudert die Gemeinde zurück: Der Einsatz von Securitys im Bad wird ab sofort wieder gestoppt; das Betretungsverbot für Asylwerber war bereits aufgehoben worden, als der Hintergrund klar wurde.

Ausgenützt

Einzelfall ist das allerdings keiner. Immer wieder nutzen Menschen die misstrauische Stimmung, um Flüchtlingen "etwas anzuhängen". Besonders schlimm ist die Stimmungsmache in den sozialen Medien, heißt es bei der niederösterreichischen Landespolizeidirektion. Wie die Statistik zeigt, gibt es keinen Anstieg von Sexualdelikten durch Asylwerber. "Durch die Flüchtlingssituation im vergangenen Jahr war die Bevölkerung einfach verunsichert und stark sensibilisiert. Es gab aber in den vergangenen Monaten keine weiteren schwerwiegenden Fälle, als jene, die durch die Medien bekannt geworden sind", sagt Polizei-Sprecher Markus Haindl. Er meint damit etwa die Vergewaltigung einer 72-jährigen Frau aus Traiskirchen durch einen 18-jährigen Afghanen, oder eine vergewaltigte 13-Jährige aus Hollabrunn, ebenfalls durch einen 17-jährigen Afghanen.

Appell

Die jüngste Gemeinderatssitzung in Mistelbach am Dienstag nützte ÖVP-Stadtrat Florian Ladengruber – er ist auch Mistelbacher Bezirkspolizeikommandant – für einen eindringlichen Appell an die Vernunft. Er blickte auf die Erschütterung der Menschen nach dem Verdacht der sexuellen Nötigung in im Bad ebenso zurück wie auf den Sturm der Entrüstung und die Gehässigkeit in sozialen Medien.

"Wir sind aufgefordert, uns nicht auseinander dividieren zu lasen", sagte Ladengruber und zitierte aus einem Buch, das nach den Terroranschlägen von Paris entstand, einen jungen Mann, der Frau und Kind verlor: "Nein, ich werde Euch nicht das Geschenk machen, Euch zu hassen. Ihr wollt, dass ich meine Mitbürger misstrauisch beobachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere."

Einstimmig beschlossen die Gemeinderäte jedenfalls, die Sicherheitskräfte aus dem Bad abzuziehen. "Die wären auch gar nicht nötig gewesen", meinen viele Mistelbacher beim KURIER-Lokalaugenschein. "Badeverbot und Security waren eine politische Maßnahme, für den Moment verständlich. Meine Familie und ich fühlen uns aber genau so sicher wie immer", sagt beispielsweise der Beamte Gerald Bajlitz.

Misstrauen

Helmut Wild versteht alle Sicherheitsmaßnahmen: "Ich glaube, die Polizei darf nicht alles sagen, was vorfällt."

"Seit mir ein Asylwerber mit dem Rad nachgefahren ist und ich ihn verscheuchen musste, gehe in nur noch zu zweit, gemeinsam mit einer Freundin Joggen", sagt die blonde Margot aus Lanzendorf. Aber auch sie findet das kurzzeitige Badeverbot für Asylwerber überzogen.

"Vernaderung" ist kein Einzelfall
Mistelbach Lokalaugenschein - Sunita und Edin Tadzic (v.r.)

Edin Tadzic findet: „Die ganze Aufregung war übertrieben.“ Und seine Frau Sunita sagt: „Es gibt kein Problem mit Flüchtlingen. Wir sind auch Eltern, wohnen ganz in der Nähe der Container, in denen die Asylwerber wohnen. Die sind höflich, machen Platz auf dem Gehsteig, ich fühle mich sicher.“

"Vernaderung" ist kein Einzelfall
Mistelbach Lokalaugenschein - Flüchtlingsquartier Container Betreuerin Agnes Müller
Agnes Müller, Flüchtlingsbetreuerin in Mistelbach, erzählt: „Unsere Klienten waren anfangs entsetzt, ja zornig, als sie vom Badeverbot hörten. Sie fühlten sich verletzt, zu Unrecht bestraft für etwas, dessen ein Einzelner verdächtigt wurde. Aber inzwischen hat sich die Aufregung gelegt.“

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