Designerin Hella Jongerius über Farbfänger und Schattenspiele

Designerin Hella Jongerius über Farbfänger und Schattenspiele
Designerin Hella Jongerius spricht im KURIER-Interview über Farbfänger, Schattenspiele und ihre Leidenschaft für das Handwerk.

„Ich habe keine Lieblingsfarbe“, lautet der Titel von Hella Buch, das bereits seit über einem Jahr vergriffen ist. Ob das nun wirklich stimmt, oder ob sie damit die Frage, die ihr Tausende Journalisten bereits gestellt haben, ein für alle Mal beantworten wollte, bleibt offen. Klar ist allerdings, dass die Möbel- und Interieurdesignerin aus den Niederlanden ein besonderes Gespür für Farben und Materialkombinationen hat. Das wusste die heute 55-Jährige sehr bald.

Designerin Hella Jongerius über Farbfänger und Schattenspiele

Die richtige Rezeptur

Nach dem Studium an der „Academy of Industrial Design“ in Eindhoven eröffnete sie ihr Designstudio „Jongeriuslab“. Damals gestaltete sie auch Raumkonzepte, unter anderem die Lounge im Hauptquartier der United Nations in New York City und Flugzeugkabinen für die holländische Fluglinie KLM. Auch in Wien war die Holländerin tätig und inszenierte eine Installation zum Thema „Colour Recipe Research“ im Museum für angewandte Kunst. Ein Thema, das sie immer noch beschäftigt. Denn sie weiß: „Nur gute Rezepte zeigen, was mit Farben wirklich gemacht werden kann.“

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Bibliothek für Farbe und Material

Auch der Schweizer Möbelhersteller wurde auf sie aufmerksam und 2005 kam es mit dem Polder-Sofa zur ersten Zusammenarbeit. Drei Jahre später hatte Jongerius bereits die Position als Art Director für Farben und Materialien inne. Sie entwickelte eine Bibliothek, in der alle Farben und Materialien, die Vitra jemals verwendet hat, in einem kategorisierten System zusammengefasst sind. Damit können Farbwelten leicht miteinander kombiniert und Designklassiker in neue Töne getaucht werden. Vitra habe viele tolle Objekte, es muss nicht immer alles neu sein – im Gegenteil, ein Re-Design eines guten Produkts steigere dessen Wert, so Jongerius. Derzeit hat sich die Designerin eine Auszeit genommen und befindet sich auf einem einjährigen Sabbatical. Zuvor haben wir sie aber noch zum Interview getroffen.

KURIER: Woher kommt Ihre Faszination für Farbe?

Hella Jongerius: Ich sehe Farbe als Material, das helfen kann, ein Objekt zu formen. Es bringt Energie in Möbel oder verleiht ein natürliches Aussehen. Diesen Effekt kreieren nicht nur Farben, sondern auch die Schatten, die eine Farbe mitbringt. Wenn Sie sich den Schatten der Vase auf diesem Tisch ansehen, dann hat der Schatten eine andere Farbe als die Vase. Und dieses Phänomen verwende ich, wenn ich mit Farben arbeite. Es sind die unzähligen Möglichkeiten, die ich sehr mag.

Für das Design Museum in London haben Sie 2017 einen Colour Catcher (deutsch: Farbfänger) kreiert. Wie funktioniert das?

Der Colour Catcher zeigt, wie Licht auf Schatten trifft und wie Farben sich dadurch verändern. Man sieht, welchen Effekt der Schatten auslöst und dass Schatten noch wichtiger ist als Farbe.

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Von Textilien über Keramik bis hin zu Kunststoff – Sie verwenden die verschiedensten Materialien für Ihre Entwürfe. Welche Oberflächen sind in Kombination mit Farben besonders herausfordernd?

Es ist immer schwierig, Stoffe zu färben. Da sie keine durchgehende Oberfläche haben. Man muss immer mit der Fadenfarbe arbeiten, die die andere Fadenfarbe überkreuzt. Daraus entsteht dann ein optischer Farbmix. Die Farbmischung ist bei Stoffen komplex und unvorhersehbar. Es benötigt immer ein paar Versuche mit verschiedenen Mustern, um die richtige Kombination zu finden.

War das auch beim Re-Design Ihres Polder-Sofas so? Vitra hat eine neue Version in Mailand auf der Möbelmesse, dem Salone del Mobile, vorgestellt. Was ist neu am Entwurf aus dem Jahr 2005?

Dieses Jahr haben wir natürlichere Farben hinzugefügt. Das Polder Sofa gab es bisher in Grün, Rot und dunklen Tönen. Jetzt konnte ich eine Pastellversion aus verschiedenen Stoffen machen. Es hat sehr viel Spaß gemacht, denn die Oberfläche verleiht dem Möbel seinen besonderen Charakter.

Sie haben in diesem Jahr auch das Vlinder Sofa vorgestellt. Warum gibt es davon bisher nur einen Prototypen?

Ja, das stimmt. Ich habe das Polder Sofa vor 15 Jahren entworfen und ich habe 15 Jahre gebraucht, um das nächste zu designen (lacht).

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Warum so lange?

Es steckt ein langer Suchprozess hinter dem jetzigen Design. Das Sofa ist ein großer Teil der Einrichtung und an seiner Form sollte man nicht viel verändern. Niemand will ein merkwürdiges, gebogenes oder auch sehr gerades Micky-Maus-Ding im Wohnzimmer stehen haben. Das heißt, wir mussten uns auf die grundlegende Form konzentrieren und es war schwierig die richtige Formensprache zu finden.Daher haben wir uns überlegt, eine Studie zu machen, in der die Stoffe der Hauptcharakter des Sofas sind. Wir haben angefangen zu weben und die Grenzen des Stoffes herausgefordert. Wir haben den Stoff auf sieben verschiedene Arten vernäht. Jeder kennt die normale Fadenführung, einmal rauf und einmal runter. Das wollten wir nicht und das Resultat ist das Vlinder Sofa.

Wann wird das Sofa fertiggestellt?

Das wissen wir noch nicht. Das Vlinder Sofa ist eine Masterstudie des Webens und auch eine Ermahnung an die Fast Fashion Industrie, die Stoffe in schlechter Qualität herstellt. Alles muss billig und schnell produziert sein und das bedeutet, dass die Fäden sehr einfach vernäht werden. Die Fertigkeiten für das Handwerk verschwinden und dadurch verschwindet das ganze Handwerk. Den Schülern bringt niemand mehr das Weben bei. Daher finde ich, dass es wichtig ist, auf hohe Stoff-Qualität zu achten und diese hochzuhalten.

Haben Sie deshalb die Material- und Farb-Bibliothek für Vitra gestaltet?

Bei Vitra haben wir sehr viele Möbel von zeitgenössischen Designern und Klassiker, wie den Panton Chair. Dadurch haben wir auch eine große Farbpalette. Daraus habe ich ein kategorisiertes System gemacht, indem ich mich gefragt habe, wie man mit Farben umgehen kann und wie sie aufeinander wirken. Jeder Designer hat seine eigene Farbwelt und manche dieser Farbwelten passen gut zusammen. Man kann sie also für einander verwenden. Die Bibliothek verleiht uns einen schnellen Überblick. Dasselbe habe ich auch für unsere Textilien gemacht. Wir schauen uns die Möbel an, die wir haben und mixen sie mit verschiedenen Materialien. Wir nehmen die Farb- und Stoffauswahl genauso ernst, wie den ergonomischen Teil des Designprozesses. Farben und Stoffe sind eine Wissenschaft.

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