Architektur-Visualisierungen: Wien im Vorher-Nachher-Check
Merten Mauritz ist verärgert. Der Hietzinger kämpft mit anderen Bewohnern des Bezirks gegen ein Bahnprojekt. Die ÖBB wollen die Strecke zwischen Hütteldorf und Meidling im Wiener Westen modernisieren - und einen Teil davon als Hochtrasse bauen. Mauritz sieht das Ortsbild von Hietzing vor der Zerstörung.
Auf den Visualisierungen der ÖBB zum Projekt "Verbindungsbahn" fügt sich die geplante Haltestelle Hietzinger Hauptstraße aber geschmeidig ins Stadtbild. "Die Straßen wurden breiter gemacht und die Altstadtvillen, die dort tatsächlich stehen, ausgeblendet. Die Anrainer werden die Leute am Bahnhof von ihrem Balkon aus grüßen können", ärgert sich Mauritz. "Die ÖBB trickst mit der Perspektive."
Von den ÖBB heißt es zum KURIER hingegen, Straßen und Häuser seien aus den Daten der MA 41 "geometrisch richtig" übernommen und "nicht verbreitert" worden. Die Visualisierung sei "ein realitätsgetreues Bild" aus der Perspektive eines Erwachsenen vom Standpunkt Hietzinger Hauptstraße/Ecke Hummelgasse.
Die Macht der Bilder
Es ist ein ungleiches Duell. Bürgerinitiative gegen Bahn, Worte gegen Bilder. Und es ist nur ein Beispiel von vielen, wie mit Renderings um Zustimmung geworben wird.
Renderings, so nennen Architekten ihre am Computer erstellten Bilder von Bauwerken, die es noch gar nicht gibt. Aus Rohdaten werden Gebäudegrafiken, die Pläne vorstellbar und greifbar machen sollen.
In Zeiten der Heumarkt-Debatte und neuer Begegnungszonen stehen Architektur-Renderings im Fokus der Öffentlichkeit. Das Rendering, die digitale Tochter der guten alten Architekturzeichnung, ist ein wichtiges Marketinginstrument. Die Visualisierung will ein Gebäude leicht aussehen lassen: Da funkelt ein geplantes Hochhaus schon mal in mehrfachen Lichtbrechungen zwischen zartrosa Kumuluswolken.
Gerne fertigen Architekten Renderings auch als spektakuläre Eigenwerbung: mit Wow-Effekt, wenn auch ohne Chance auf Umsetzung. Die zerstörte Kathedrale Notre-Dame zum Beispiel bekam in diversen Visualisierungen Glasdächer, neue Türme oder auch ein Gewächshaus.
Eine gute Zukunft
Investoren wollen mithilfe von Renderings Wohnungen verkaufen oder Büros vermieten. Auch die Politik setzt auf ihre Wirkung - die nächste Großbaustelle als Geburtsort einer besseren Zukunft. Ex-Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou nannte daher als einen ihrer größten Fehler bei der neuen Mariahilfer Straße, die Bevölkerung habe die Renderings zu spät zu Gesicht bekommen. Damit meinte sie natürlich nicht, die Renderings hätten etwas Schönes vorgegaukelt, sondern gezeigt, wie schön es tatsächlich werden würde.
Library and Learning Center (LC) auf dem WU-Campus. Vergleichsfoto: Gerhard Deutsch
Ein paar Beispiele im Vorher-Nachher-Vergleich. Der neue WU-Campus in Wien gilt auch jenseits von Österreich als Schauplatz spannender moderner Architektur: Sechs Architekturbüros wirkten daran mit, das vielleicht berühmteste Gebäude ist die Bibliothek (Library and Learning Center, kurz LC) der britisch-irakischen Architektin Zaha Hadid.
Allerdings fällt auf: Das LC ist im Rendering von Wasser umsäumt, in Wirklichkeit heute hingegen von Steinen und Wiese. Auch sind die Fenster im Entwurf größer. Vor allem ist die schräge Bibliothek am Ende gar nicht so schräg geworden.
"Grundidee blieb erhalten"
Die damalige Masterplanerin der WU, Laura Spinadel, erklärt im KURIER-Gespräch: "Das Büro Zaha Hadid hat den Wettbewerb gewonnen. Als klar wurde, dass das LC mit den geplanten Baukosten nicht umsetzbar war, zeigte sich das Büro ganz pragmatisch und war einverstanden, die Neigung von 45 auf 30 Grad zu reduzieren. Das hat die Dynamik ein wenig verändert, aber nicht die grundsätzliche Stimmung des Projekts."
Sprich: Der Wesenskern des Entwurfs sei erhalten geblieben. Das Wasser rundherum war laut Spinadel übrigens wohl "künstlerische Freiheit" des Rendering-Büros, denn Wasser sei auf dem WU-Campus nie geplant gewesen.
Westbahnhof neu. Vergleichsfoto: Gerhard Deutsch
Noch ein Beispiel. Der neue Westbahnhof, seit 2011 marketingbedingt auch "Bahnhofcity Wien West", hat im südlichen seiner zwei neuen Gebäude im Rendering noch zwei schlanke Säulen statt durchgehend Beton. Der erfahrene Architekt Heinz Neumann führte damals mit seinem Kompagnon Eric Steiner die Feder. "Das Projekt ist im Großen und Ganzen wie geplant umgesetzt worden. Da finde ich keine Anstößigkeit daran", verteidigt er die Änderung zwischen Bauwerk und Rendering. Und ergänzt einen Unterschied, den man auf den Bildern nicht erkennen kann, selbst: "Die wesentliche Änderung zwischen Rendering und Ausführung war, dass die Gebäude höher geworden sind, weil es der Wunsch des Bauherrn war, in diesem Fall der ÖBB."
DC Tower. Vergleichsfoto: Gerhard Deutsch
Auch Wiens höchstes Gebäude, der DC Tower, vom französischen Architekten Dominique Perrault, unterscheidet sich im KURIER-Foto auf den ersten Blick vom Rendering. In der Visualisierung schimmert der 250-Meter-Turm deutlich heller. Das sei "natürlich vom Lichteinfall abhängig", heißt es dazu vom Wiener Büro Hoffmann-Janz, das in der Bauphase verantwortlich war. Die Wahl einer dunkleren Glasfassade sei kein Kompromiss, sondern eine bewusste Entscheidung gewesen. "Die Wirkung wollte man."
Alle befragten Architekten versichern, dass kleine Adaptionen zwischen Rendering und Ausführung absolut die Regel seien. "Prinzipiell wird kein Projekt so gebaut, wie es im Wettbewerb gezeichnet wird", sagt Altmeister Neumann.
Und doch ist die Verlockung groß, für die Politik wie für private Bauherren, mit Renderings nicht die ganze Wahrheit zu erzählen. Denn es soll ja gebaut werden. Ein Rendering ist ein Versprechen.
Leicht, filigran, transparent
Die Architektur-Expertin und Stadtführerin Felicitas Konecny sieht die Wahrheit in der Mitte liegen. "Architekten haben natürlich das Bestreben, ein Gebäude leichter aussehen zu lassen. Vorschriften und technische Gegebenheiten lassen es dann gezwungenermaßen weniger leicht, weniger filigran, weniger transparent wirken." Aber es sei in der Regel der ehrliche Wunsch des Architekten, ein "möglichst leichtes und elegantes Gebäude" zu realisieren.
Die Sicht der Architekten
Architekt Neumann will vor allem die Machtverhältnisse zwischen den Auftraggebern und den Urhebern der Renderings - Architekten oder spezialisierte Büros - zurechtgerückt wissen. "Mit Architekten wird unfair umgegangen. Wettbewerbe sind das Unmoralischste, was es gibt. Für die Architekten ist es eine Geldvernichtung. Es treten 30 Architekten an, und einer gewinnt. Es kann sogar vorkommen, dass das Projekt gar nicht gebaut wird und man damit alle Architekten im Regen stehen lässt." An Renderings würde er nichts verdienen, sie seien eine Pflichtübung im Wettstreit um Aufträge.
WU-Masterplanerin Spinadel, selbst Gründerin eines Rendering-Büros, sieht in Wien in der Darstellung des öffentlichen Raums viel Unehrlichkeit. "Sie haben immer einen inszenierten öffentlichen Raum um die Gebäude, zum Beispiel Bäume, Möblierung und freundliche Menschenmassen. Gerade in Wien ist der öffentliche Raum in den Renderings oft ein Schmäh. Beim WU-Campus gab es beim Wettbewerb zuerst kein Budget für den öffentlichen Raum. Man hatte ihn vergessen." Es habe lange gedauert, die letztlich 20 Millionen Euro dafür zu kriegen.
Der menschliche Faktor
Kein Wiener Phänomen ist allerdings die Darstellung von Menschen auf Renderings. Anders als in der klassischen Architekturfotografie bevölkern Passanten die Szenerie. Diese virtuellen Menschen demonstrieren: Dieses Gebäude wird kein kalter Klotz, sondern ein Tempel des Lebens.
"Sie müssen nur schauen, wie oft auf einem Rendering ein Kind mit einem Luftballon ist", sagt Architekturführerin Konecny. Die Botschaft: Emotion durch Beton, es soll gebaut werden. Wenn alle Vorplätze in Wien so frequentiert wären wie auf den Visualisierungen, müsste die Stadt 10 Millionen Einwohner haben. Und lauter glückliche.
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