Warum die Österreicher immer öfter zu Schmerzmitteln greifen
"Angesichts dieser Daten läuten für mich die Alarmglocken." Das sagt Oberarzt Wolfgang Jaksch, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft: Rund 163 Tonnen Schmerzmittel, Entzündungshemmer und Antirheumatika wurden 1997 in Österreich verbraucht. Im Jahr 2014 waren es hingegen bereits knapp 245 Tonnen – ein Anstieg um rund 50 Prozent. Beinahe jedes dritte in Österreich geschluckte Medikament (30 Prozent) ist ein Schmerzmittel. Insgesamt werden in Österreich täglich mehr als zwei Tonnen Medikamente verbraucht. Das sind Daten aus einer aktuellen Studie des Umweltbundesamtes, die eigentlich "Arzneimittelrückstände in der Umwelt" zum Thema hat.
Einen deutlichen Anstieg des Verbrauchs gab es seit 1997 auch bei Medikamenten gegen Diabetes, psychische Krankheiten und bakteriellen Infektionskrankheiten (siehe Grafik).
"Manche dieser Schmerzmittel können massive Schäden anrichten", sagt Jaksch. "Es gibt Schätzungen, wonach die Gruppe der nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) jährlich für 300 bis 400 Todesfälle durch gastrointestinale Nebenwirkungen wie Magenblutungen oder Magendurchbrüche verantwortlich ist." Diese NSAR sind nicht-Cortison-hältige, aber trotzdem entzündungshemmende Medikamente.
"Es handelt sich auch um jene Präparate, die am häufigsten zu Spitalsaufnahmen wegen durch die Wirkstoffe selbst verursachte Nebenwirkungen führen." Die Ursache dafür sei sehr oft ein Missbrauch dieser Medikamente, von dene viele in niedrigen Dosierungen rezeptfrei sind. "Aber das umgehen die Leute, indem sie dann einfach zwei oder drei Tabletten auf einmal nehmen."
Vielfach fehle Ärzten heute die Zeit, Patienten ausführlich zu untersuchen und den tatsächlichen Ursachen ihrer Beschwerden auf den Grund zu gehen: "Dann wird halt schnell ein Schmerzmittel verschrieben." Aber auch in den Apotheken sei mehr Aufklärungsarbeit notwendig: "Sie müssten strenger bei der Abgabe sein", so Jaksch.
"Nachholbedarf"
Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer weist auf einen anderen Aspekt hin: "In vielen Bereichen gibt es in Österreich einen Nachholbedarf bei der Versorgung der Patienten mit Medikamenten – da sind wir international weit abgeschlagen." So gebe es etwa eine Unterversorgung mit Cholesterinsenkern, Bluthochdruckmitteln oder Anti-Diabetes-Präparaten: "87 Prozent der Patienten mit Herzschwäche sind nicht ausreichend medikamentös versorgt."
Bei den Psychopharmaka habe Österreich hingegen bereits aufgeholt: "Bis jetzt sehe ich in dem Anstieg aber noch nichts Auffälliges."
Andere Experten stimmen dem zwar zu – sehen aber auch noch andere Ursachen: Die Zahl der kassenfinanzierten Psychotherapie-Plätze ist begrenzt – viele Patienten können sich eine solche privat aber nicht finanzieren. Psychopharmaka sind hingegen auf Kassenkosten erhältlich. Und während Psychiater auch soziale und psychische Krankheitsauslöser stärker berücksichtigen würden, sei dies in anderen Fachgebieten nicht immer der Fall. Mit Psychopharmaka sollen dann vor allem die biologischen Krankheitsauslöser bekämpft werden.
Gundi Lorbeer vom Umweltbundesamt verweist auf die ursprüngliche Zielsetzung der Studie: "Wir möchten keineswegs den Einsatz von Arzneimitteln infrage stellen. Aber es zeigt sich, dass relativ viele Wirkstoffe – in geringen Konzentrationen – in der Umwelt nachweisbar sind." Nicht verwendete Medikamente sollten deshalb auf keinen Fall in den Abfall geworfen, "sondern zurück in die Apotheke oder zu Problemstoffsammelstellen gebracht werden".
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