Gandhi – „ein widersprüchlicher Mensch, ein politisches Gesamtkunstwerk, kein Heiliger, nicht einmal ein Mensch ohne Makel“. Nachzulesen in der Autobiografie Gandhis ("Mein Leben oder Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit“), die Trojanow neu übersetzt pünktlich zum 150. Geburtstag (2. Oktober) herausgibt.
Shalini Randeria gefällt, „dass Trojanow nicht den historischen Gandhi in den Mittelpunkt stellt, sondern sich damit beschäftigt, was er uns heute zu sagen hat“.
Die international renommierte Sozialanthropologin vom Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen wurde „von Kindheit an von Gandhi sehr geprägt. Meine Mutter lebte als junges Mädchen mehrere Monate im Ashram Gandhis. Jeden Morgen ist sie mit ihm am Strand spazieren gegangen. Später übersetzte sie seine Texte.“ Auch der Vater war Gandhi-Anhänger.
Trotzdem weiß Randeria, dass heute Kritik aus zwei unterschiedlichen Ecken der indischen Gesellschaft kommt:
Anfeindungen
„Einmal von progressiver, feministischer Seite – sie werfen Gandhi ein sehr patriarchales Verhalten vor und auch das Festhalten am Kastensystem. Da ist was Wahres dran, vor allem, wenn man die Beziehung Gandhis zu seiner Frau anschaut.“ Sie komme in seiner Autobiografie kaum vor. „Und wo sie vorkommt, zwingt er sie zu Dingen, die ihr zuwider waren. “
Auch die rechtsgerichtete hindunationalistische Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP) verteufelt Gandhi: „Ihnen ist er ein Dorn im Auge, weil er ein ganz anderes Verständnis von Hinduismus hatte als sie“, sagt Randeria. Der Grund: Gandhi war stark von der Religionsgemeinschaft seiner Mutter geprägt. Putlibai Gandhi stammte aus der Parnami-Tradition. Diese besondere hinduistische Glaubensgemeinschaft ist überzeugt, dass jede Religion einen Kern der Wahrheit in sich trägt und daher keine für sich beanspruchen kann, den wahren Gott zu kennen und alleine zur Erlösung zu führen. Und das vertrage sich mit dem Hindu-Nationalismus so gar nicht, analysiert die Sozialanthropologin.
Heiliger oder beschädigte Ikone? 150 Jahre nach seiner Geburt, 70 Jahre nach seiner Ermordung ist Gandhi in Indien tief geächtet, hoch geachtet – vor allem aber ist er vergessen: Böse Zungen behaupten, dass heutige Inder eher an Indira als an Mahatma denken, wenn sie den Namen Gandhi hören. „Für die breite Mittelschicht in Indien, die von Konsum geprägt ist, ist er komplett in Vergessenheit geraten“, sagt Randeria. Wobei er in der Friedensbewegung und unter Umweltaktivisten derzeit neu entdeckt werde. „Da ist Gandhi ein großes Vorbild, hat er doch bereits in seinen frühen Schriften vor Profitgier gewarnt sowie vor den ökologischen Folgen von Industrialisierung und dem uneingeschränkten Fortschritt.“
Gandhi selbst definierte, was ihn antreibt, im Vorwort zu seiner Autobiografie: „Was ich erreichen möchte, ist Selbsterkenntnis, Gott von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Alles, was ich sage und schreibe, meine sämtlichen politischen Bemühungen haben diesen Zweck.“
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