Warum wir nicht mehr richtig ticken

Um drei Uhr früh ist es erst zwei.
Am Sonntag werden die Uhren um eine Stunde zurückgedreht. Der Nutzen? Fragwürdig!

32.000.000! In Worten: 32 Millionen Uhren müssen morgen umgestellt werden. Und das alleine in Österreich. Kein Wunder, dass die Mehrheit längst von der zwei Mal im Jahr verordneten Zeitumstellung genervt ist. Am 2. Wiener Lichttag, veranstaltet vom Institut für Schlaf-Wach-Forschung, wogen Chronobiologen, Neurologen, Schlafforscher und Arbeitsmediziner Vor- und Nachteile ab. Der Tenor: Die Studienlage ist dürftig, und die persönlichen Nachteile überwiegen.

Dabei haben es die Politiker dazumal gut gemeint – zumindest mit dem Geldbeutel. Der englische Name der Sommerzeit, "Daylight Saving Time", verrät, warum sie beschlossen wurde: um die Zeitspanne mit Tageslicht tagsüber zu verlängern und so Energie einzusparen. Mittlerweile belegen Studien längst: falsch gedacht. Zwar knipsen wir im Sommer abends weniger häufig das Licht an, heizen im Frühjahr und Herbst in den Morgenstunden aber mehr – das hebt sich gegenseitig auf.

Folgen? Negativ

Apropos Studien: Was wollen Forscher doch schon alles über die Auswirkungen der Zeitumstellung herausgefunden haben. Das Herzinfarktrisiko soll in den Tagen rund um die Frühlingsumstellung ansteigen, mehr Schlaganfälle gäbe es auch; 29 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer klagen über Schlaf-Rhythmus-Probleme; Kühe geben im Frühling weniger Milch, weil sie sie eine Stunde früher hergeben sollen; eine russische Studie will gar eine um 66 Prozent erhöhte Selbstmordrate entdeckt haben. Sogar die Hoffnung auf weniger Verkehrsunfälle wegen mehr Tageslicht habe sich nicht erfüllt, sagt der Neurologe Josef Zeitlhofer. Dafür fehlen Vergleichsstudien zwischen Ländern, die an ihrer Uhr drehen und solchen, die es sein lassen.

Unumstritten ist unter Forschern folgendes: Der wichtigste Zeitgeber für die innere Uhr ist das Sonnenlicht. In Industrieländern ticken wir daher längst nicht mehr richtig. Die Uhr bestimmt, wann wir aufstehen, arbeiten, essen und uns erholen. Egal, was der innere Zeitgeber sagt. Dieser künstliche Rhythmus hat Auswirkungen auf die Psyche und viele Körperfunktionen – Kreislauf, Leberstoffwechsel, Blutdruck und Körpertemperatur. Nach einer Zeitumstellung kostet es zusätzlich Energie, die innere Uhr an die künstliche Uhrzeit anzupassen. Es ist ein Jetlag ohne Ortswechsel. Licht beeinflusst die innere Uhr stärker als jedes Medikament, weiß der Baseler Chronobiologe Christian Cajochen. Und: "Morgen- und Abendtypen ticken zeitversetzt." Bis zu zwölf Stunden könne etwa die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin bei Frühaufstehern und Morgenmuffeln auseinanderliegen. Die Wissenschaft spricht von Chronotypen.

Eulen werden diskriminiert

Weil wir uns heute viel mehr in Innenräumen aufhalten, fehlt der Impulsgeber von außen: Lerchen – jene, die die Gene zu Frühaufstehern machen – wachen immer früher auf, Eulen – genetisch bedingt Morgenmuffel – schlafen immer später ein. Jede Zeitumstellung – selbst wenn es sich um eine läppische Stunde handelt – bringt die innere Stechuhr zumindest kurzfristig durcheinander. Eulen leiden im Frühling mehr, wenn sie noch früher aufstehen sollen, Lerchen dagegen im Herbst. "Die Zeitumstellung wirkt auf unterschiedliche Chronotypen ganz unterschiedlich", sagt Stadlbauer. Zwar reagieren Frühtypen generell empfindlicher auf jede Störung der inneren Uhr – die Gründe sind unbekannt –, doch leben wir in einer Welt, die für Lerchen gemacht sei. "Spättypen werden diskriminiert", sagt der Arbeitsmediziner. "Denn wer seinen Schlafmittelpunkt um 5 Uhr früh hat, kann unmöglich um 7 Uhr aufstehen und am Arbeitsplatz oder in der Schule Leistung bringen". Die Folge dieses "sozialen Jetlags" sei ein Hang zu Übergewicht, Rauchen und Alkohol, sagt der Arbeitsmediziner Helmut Stadlbauer und plädiert für einen späteren Schulbeginn und flexiblere Arbeitszeiten.

"Es gibt also viel größere Beeinträchtigungen als die Zeitumstellung", sagt Stadlbauer. So werde durch das ewige Auf-den-Bildschirm-Starren der Schlaf-Wach-Rhythmus empfindlich gestört. Chronobiologe Cajochen: "Wer abends am Computer oder Smartphone viel Licht abbekommt, verschiebt seine Melatonin-Ausschüttung nach hinten und beeinflusst den Tiefschlaf negativ. Je mehr Blaulicht, desto wacher." Relevant? Allemal: 99 Prozent der Jugendlichen gaben in einer Befragung an, ihr Smartphone vor dem Einschlafen zu nutzen. "Jedes mal bekommen sie einen Lichtimpuls mit hohem Blauanteil", sagt der Chronobiologe und rät: "Gehen Sie nicht blau ins Bett."

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Die erste Idee stammt vom späteren US-Präsidenten Benjamin Franklin: Der damalige Gesandte der USA in Frankreich schrieb im Mai 1784 einen nicht ganz ernst gemeinten Leserbrief an das Journal de Paris: Die Pariser stehen viel zu spät auf. Sein brachialer Lösungsvorschlag: "In jeder Straße sollten Kanonen abgefeuert werden, um die Faulpelze aufzuwecken." Wer früher aufsteht, verbrauche nachts weniger Kerzen, rechnete er vor, dadurch ließen sich laut seiner Kalkulation 64 Millionen Pfund an teurem Wachs einsparen.

Klar, die Zwangsbeglückung werde zunächst unpopulär sein, aber früher oder später würden sich die Leute schon an die Zeitumstellung gewöhnen: "Wenn man Leute dazu zwingt, um vier Uhr früh aufzustehen, dann gehen sie auch bereitwillig schon um acht Uhr abends ins Bett."

Tatsächlicher Erfinder

Als Erfinder der Zeitumstellung gilt aber der britische Baulöwe William Willett. Der ritt frühmorgens aus, ärgerte sich über herunter gelassene Rollläden und kämpfte ein Leben lang für die Sommerzeit. Ein Jahr nach seinem Tod, 1916, wurde die Idee umgesetzt: vom Erzfeind Deutschland.

Wie man sich überhaupt gerne in Krisenzeiten an die Zeitumstellung erinnerte: So wurde sie unter anderem im Zweiten Weltkrieg (1941/42) und während der Ölkrise (1973) eingeführt. Heute setzen weltweit etwa 70 Länder – weniger als 40 % – auf die Zeitumstellung.

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