"Vaterunser": Warum eine Veränderung des Gebets heikel ist

"Vaterunser": Warum eine Veränderung des Gebets heikel ist
Italien ändert den Text, Österreich nicht. Sprachliche Anpassungen gab es immer wieder, es stecken komplexe Abläufe dahinter.

Es ist nur ein Wort. Doch jede kleine Veränderung bewegt die Kirchenwelt, wenn es um das Ur-Gebet der Christen, das Vaterunser, geht. Nach den französischen Bischöfen haben die italienischen eine Änderung der Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung“ beschlossen. In den neuen Messbüchern wird stattdessen „Überlasse uns nicht der Versuchung“ stehen.

Die Begründung: Das sei näher an der Intention, die Jesus gehabt habe. Die Änderung war bereits 2008 im Zuge einer neuen italienischen Bibelübersetzung beschlossen worden. 2017 hatte sich zusätzlich Papst Franziskus in einem Fernsehinterview an der alten Formulierung gestoßen. Nicht Gott führe die Menschen in Versuchung. Ein Vater mache so etwas nicht, er helfe, wieder aufzustehen. Eine Sichtweise, der Theologen in anderen Ländern etwas abgewinnen konnten.

Theologische Spitzfindigkeit?

In Anbetracht von Missbrauch in der Kirche und der Diskussion ums Zölibat mag die theologische Spitzfindigkeit wie ein Nebenschauplatz wirken. Aber es geht um das Vaterunser. Wer katholisch oder evangelisch sozialisiert wurde, lernt dieses Gebet zu allererst. Und vergisst es selten, selbst wenn er der Kirche längst den Rücken gekehrt hat. „Es ist das allerhöchste Gebet, das die Kirche kennt. Das einzige, das uns Jesus persönlich hinterlassen hat“, sagt Kirchenexperte Dominik Orieschnig, Sprecher der Diözese Eisenstadt.

Er persönlich sieht eine Textänderung problematisch. „Ich habe in der Diskussion den Eindruck, dass manche Theologen dem Gottessohn noch im Nachhinein erklären wollen, was er mit seinem Gebet eigentlich sagen wollte.“ Paul Zulehner, Priester und Theologe von der Uni Wien, sieht es nicht so eng. „Beide Versionen haben einen Sinn.“

Gebete dürfen nicht nebenbei geändert werden

Ändert man ein so weit verbreitetes Gebet, ist das besonders heikel und kann kirchenrechtlich nicht übers Knie gebrochen werden. Beschließen muss es die Bischofskonferenz der jeweiligen Länder. Im deutschen Sprachraum geht man gemeinsam vor, da Deutschland, Schweiz und Österreich betroffen seien, erklärt Paul Wuthe, Sprecher der österreichischen Bischofskonferenz.

Und auch die Ökumene spielt beim Vaterunser, einem liturgischen Text, eine Rolle. „Gebete wie dieses sollen die Christen im deutschsprachigen Raum vereinen und nicht trennen.“ Die Deutsche Bischofskonferenz lehnte eine Änderung des Vaterunser bereits im Jänner 2018 ab, ebenso wie die deutschen Protestanten. Laut Wuthe wird im ganzen deutschsprachigen Raum derzeit an keine Änderung gedacht.

Sprache verändert sich

Sprachliche Anpassungen gab es beim Vaterunser übrigens schon immer, allein durch die Übersetzungen in verschiedene Sprachen. „Ausgangspunkt ist immer der lateinische Text“, erklärt Wuthe. „Treten Mehrdeutigkeiten auf, greift man auf den altgriechischen zurück.“ Dazu kommen bewusste Veränderungen aufgrund kulturellen Wandels. Orieschnig: „Die katholische Kirche selbst hat in der jüngeren Geschichte mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) eine große Liturgiereform begonnen.“ Dazu zählen auch zeitgemäße Mess- und Gebetstexte.

Dem Bild des liebenden Gottes entsprechend

„Ich finde das sehr schön“, kommentiert Martha Heizer, exkommunizierte Vorsitzende der Plattform „Wir sind Kirche“, die Änderung der Textpassage: „Es entspricht viel mehr dem Bild eines liebenden Gottes.“ Die Mitinitiatorin des Kirchenvolksbegehrens von 1995 kennt Herden von Schäfchen, die mit der Bitte im Vaterunser nichts anfangen können und eben dort bereits ein „Führe uns in der Versuchung“ murmeln. „Jeder soll das halten, wie er will – und nicht auf Erlaubnis warten.“

Gebete sind nicht in Stein gemeißelt. Sie dürfen inhaltlich, aber auch sprachlich mit der Zeit gehen. Beispiel „Ave, Maria“: In der deutschen Übersetzung hieß es ewig „gebenedeit unter der Weibern“. Heute ist die Mutter Jesu Christi längst gesegnet „unter den Frauen“. „Da denkt keiner mehr darüber nach, das ist eine logische Sache“, sagt Heizer: „Man muss sich nur kurz umstellen.“

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