Diversität ist im Tierreich normal
„Es bedarf großer Vorsicht, mit menschlichen Kategorien das Verhalten von Tieren zu beschreiben“, sagt Sophie Juliane Veigl. Die Philosophin an der Universität Wien verweist darauf, dass Sprache Ideologie mittransportiert, und appelliert, mit Formulieren reflektiert umzugehen. Der Begriff „normal“ – er impliziert abnormal – taugt nicht für die Beschreibung von wildem Sex. Also: Diversität im Tierreich. Und Queerness.
Homosexualität ist weit verbreitet
„Queer bezeichnet landläufig Organismen, die nicht der hetero-normativen Vorstellung von Sexualverhalten entsprechen“, definiert die studierte Biologin und nennt zunächst Same Sex Sex als Spielart der Natur. Tatsächlich ist Homosexualität unter Tieren – von Säugern über Vögel bis zu Insekten – weit verbreitet. Wissenschaftlich nachgewiesen praktizieren 1.500 Spezies Sex mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen, 500 davon sind einschlägig dokumentiert.
Im Vorjahr kam eine spanische Metastudie zu dem Schluss, dass sich Weibchen und Männchen „ähnlich häufig“, nämlich in mehr als 50 Prozent der Fälle, mit ihresgleichen paaren. Die Datenanalyse stützte insgesamt „die Hypothese, nach der gleichgeschlechtlicher Sex evolutionär begünstigt wurde, weil er hilft, soziale Bindungen aufzubauen, zu erhalten und zu stärken“.
Beispiele gefällig? Japanmakaken-Weibchen gehen anhaltende Partnerschaften ein, die sich durch Zuneigung und lustvolle Befriedigung auszeichnen. Amerikanische Bison-Männchen, die zwecks Fortpflanzung nur einmal im Jahr mit Weibchen zur Sache kommen, paaren sich regelmäßig mit Männchen. Bei Trauerschwänen findet ein Viertel aller Sexualkontakte zwischen Männchen statt, sie bleiben einander ein Leben lang treu.
Forschende müssen ihren Versuchsaufbau hinterfragen
„Bei Forschungsfragen ist mitzudenken, wie unsere Vorannahmen Versuchsaufbau und Ergebnisse beeinflussen“, betont Veigl. Zootiere verhalten sich anders als verwandte Freigeister. Nicht alles spielt sich vor den Augen von Wissenschaftler ab. Von einzelnen Individuen darf nicht auf die gesamte Spezies geschlossen werden. Ergebnisse müssten in alle Richtungen offen bleiben.
Historische Interpretationen, die queeres Verhalten einerseits mit u.a. Hormonen und Fehlprägung begründeten und andererseits mit der Durchsetzung von Dominanz, haben ausgedient.
Forschende mutmaßen heute übrigens, dass wahllose Paarung die Urform der Sexualität gewesen sein könnte.
Nicht immer ist Fortpflanzung oberstes Ziel
Delphine und Makaken scheinen einfach Spaß am Same Sex Sex zu haben. „Bonobos schlichten bisexuell Streit. Manche Tiere mögen gleichgeschlechtliche Partnerschaften, für andere fehlt die Alternative“, zählt Lukas Quast Gründe für Queerness in freier Wildbahn auf. Er führt im Pride Month durch das Haus des Meeres und stellt den Rosellasittich im regenbogenfarbenen Federkleid vor, zeigt Lemuren-Weibchen, die im Matriarchat das Sagen haben, und berichtet von Seepferden-Männchen, die befruchtete Eier austragen.
Auch transsexuelle Arten schwimmen im Wiener Aqua Terra Zoo. Der Riesenzackenbarsch etwa startet als Weibchen ins Leben, manche wandeln sich später in männliche Fische. Der Vorteil: Der Hermaphrodit entscheidet, welches Geschlecht der Fortpflanzung eher nützt.
Jungfernzüchtung dient dem Arterhalt
Doch „Sexualverhalten und Fortpflanzung als einziges Ziel von Tierleben zu sehen, wäre eben wieder eine Vorannahme von uns Menschen – eine Bewertung“, sagt Veigl. Dabei hat auch Asexualität einen fixen Platz in der queeren Natur; so genannte Jungfernzüchtung garantiert den Arterhalt. Quast hat ein uraltes Beispiel parat. Komodowarane schlüpfen aus unbefruchteten Eiern. Gibt die Mutter ein Z-Chromosom weiter, entwickeln sich Weibchen, vererben sie zwei Z-Chromosomen, wachsen Männchen heran.
Tier-Mensch-Vergleich hinkt aus mehreren Gründen
„Das Verhalten von Tieren kann nicht als Rechtfertigung für das Verhalten von Menschen herangezogen werden“, sind die Philosophin und der Zoopädagoge einig. Noch fehlen eindeutige Beweise dafür, dass Tiere wie Menschen „sexuelle Identitäten“ aufbauen. Vor allem aber legen Tiere mitunter ein Gehabe an den Tag – Vergewaltigung, Inzucht, Kannibalismus –, das in menschlicher Gesellschaft völlig un-stolz wäre.
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