So wild ist das Liebesleben der Tiere
Der Herrgott hat einen großen Tiergarten. In seinem Reich der schrägen Vögel tummeln sich geschätzte fünf bis 50 Millionen Arten. Und bei allen – ob Ohrenschlürfer oder Orang-Utan, ob Bachling, Baumleguan oder Blaufußtölpel – geht es um das Eine: "Sex ist ein Teil fast aller Entscheidungen, die von Tieren getroffen werden. Zudem trägt er zu praktisch jeder Facette der sozialen Organisation bei", sagt US-Autorin Carin Bondar.
In "Wilder Sex. Das Liebesleben der Tiere" beschreibt die Biologin mit Spezialgebiet Populationsökologie anhand unzähliger Beispiele die ausgeklügelten Fortpflanzungsstrategien – vom ersten Treffen bis zur Elternschaft. Den Menschen lässt sie weitgehend außen vor: Emotionen und Verhütung torpedieren das Konzept, das sonst im großen Tiergarten gilt: die Maximierung der biologischen Fitness. Parallelen gibt es trotzdem genug.
Biologische Fitness
Tiere versuchen auf trickreiche Weise, ihre Gene möglichst effektiv an künftige Generationen weiterzugeben. Schon beim Flirten müssen sie Konkurrenz und ungünstige Umweltbedingungen ausschalten, mitunter auch die anspruchsvolle Partnerin täuschen: So ist es z. B. bei Listspinnen üblich, dass der Bräutigam eine Gabe mitbringt. Ausgefuchste 30 Prozent überreichen statt des mühsam erjagten, in Seide gewickelten Beutestücks eine Geschenksattrappe. Bis das Weibchen den Betrug bemerkt, hat der Samenspender seine Sache erledigt.
Vorspiel
Bei den Pongos lässt sich die Äffin nicht so einfach über den Tisch ziehen. Sie prüft, bevor sie sich bindet: Sie entwendet dem Auserwählten schamlos Nahrung und schließt aus seiner gewährenden bis gewalttätigen Reaktion auf Persönlichkeit und Vater-Qualitäten.
"Die Fähigkeit, einen passenden Partner zu erkennen und erfolgreich zu umwerben, ist selten ein problemloses Unterfangen", fasst Bondar die Phase des Anbandelns zusammen: "Wenn die Partner bereitstehen, kommt die nächste kritische Phase: der eigentliche Sex." Auch hier gibt es keine Spielart, die es nicht gibt. Einfühlsam geht es selten zu.
Spielarten
Regenwürmer durchstechen die Haut des Gegenparts mit bis zu 44 Kopulationsstacheln. Prachtschnecken werfen nach jeder Kopulation ihren Penis ab, einen Tag später steht ein regeneriertes Stück für die weitere Verbreitung der Gene bereit. Unerfahrene Bisonburschen üben mit kundigen Bisonmännern. Kap-Borstenhörnchen befriedigen sich selbst, um ihre Genitalien zu reinigen.
Nichts bleibt beim Sex dem Zufall überlassen, selbst die Anzahl der Spermien pro Ejakulat wird aktiv beeinflusst, Selektionsdruck besteht auch auf Zellebene. Bei der Honigbiene erhöht der Wettbewerb die Qualität der Samenflüssigkeit. Die Königin sammelt auf ihrem Hochzeitsflug Sperma von zehn bis zwanzig Drohnen, um mehr als 90 Prozent des Ejakulats wieder auszustoßen. Bei den Kammhühnern lassen Hennen nur das Sperma von nicht verwandten Hähnen zur Befruchtung zu und stärken damit das Immunsystem der entstehenden Küken.
Nachspiel
"Die nächste Hürde für jedes Tier besteht darin, sicherzustellen, dass seine biologischen Nachkommen lange genug leben, um die Geschlechtsreife zu erreichen und den Kreislauf fortzusetzen", hebt Bondar die Bedeutung der Elternschaft hervor. Auch für das Nachspiel hat die Natur faszinierende Lösungen.
Mistkäfer-Pärchen passen die Anzahl der Nachkommen der Qualität des Brutkugel-Dunges an. Flughunde-Väter können aus ihren kleinen Brustwarzen Milch herausdrücken. Derbywallabys werden unmittelbar nach dem Gebären wieder trächtig. Stirbt das Neugeborene, nimmt die Entwicklung des zweiten Embryos sofort seinen Lauf, andernfalls wartet er bis zum nächsten Jahr.
Menschen
"Unsere eigene Art macht so vieles anders als der Rest des Tierreichs. Im Grunde haben die Menschen die Biologie aus dem Sexualvorgang entfernt", merkt die vierfache Mutter Bondar: "Wird dies zu unserem Untergang führen?" Der Tiergarten müsste deshalb sicher nicht sperren.
BUCHTIPP
Carin Bondar: Wilder Sex. Das Liebesleben der Tiere: Theiss Verlag, 336 Seiten, davon 57 Seiten mit Begriffserklärungen, Literaturverzeichnis und Register. 27,71 €.
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