Wie sich aus kindlichen Zellen im Fruchtwasser Organe bauen lassen

Eine Frau im Labor.
Britische Forschende des University College London haben erstmals fötale Mini-Nachbauten von Organen aus Fruchtwasserzellen hergestellt.

Während einer Schwangerschaft treiben im Fruchtwasser der werdenden Mutter auch Zellen – und damit das Erbgut – des noch ungeborenen Kindes. Relevant sind diese kindlichen Zellen zum Beispiel bei Fruchtwasser-Untersuchungen. Bei diesem pränataldiagnostischen Verfahren kann die DNA des Kindes mittels Genanalyse auf bestimmte Erbkrankheiten untersucht werden.

Forschende aus Großbritannien haben nun laut eigenen Angaben erstmals verschiedene organähnliche Mikrostrukturen aus diesen Zellen gezüchtet. Das berichtet das Team um den Stammzellforscher Mattia Gerli vom University College London im Fachblatt Nature Medicine.

Kleine Modellstrukturen sollen große Forschungsmöglichkeiten bieten

Die hergestellten Organoide sind nur wenige Millimeter klein. Den Fachleuten zufolge schlummert in ihnen aber großes Potenzial: Denn sie weisen vergleichbare Merkmale zu den Organen im heranwachsenden Kind auf. Die winzigen Organrepliken könnten dabei helfen, die Entwicklung von Organen während der Schwangerschaft zu verstehen und die Erforschung angeborener Krankheiten zu unterstützen.

Im Zuge ihrer Forschungen untersuchten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter die diversen Zellen, die im Fruchtwasser schwimmen. In einem ersten Schritt trennten sie lebende von abgestorbenen Zellen. Erstere wurden dann mittels spezieller Analyseverfahren genauestens untersucht. So fand man schließlich gewebespezifische Stammzellen der obersten Zellschicht des Magen-Darm-Trakts, der Nieren und der Lunge des Fötus. In einem weiteren Schritt ließen die Forschenden diese Vorläuferzellen in 3D-Kulturen zu Organoiden heranwachsen.

So gelang es den Autorinnen und Autoren auch, aus Fruchtwasser- und Luftröhrenzellen von Föten mit angeborenem Zwerchfellbruch, Lungenorganoide zu erzeugen, die Merkmale dieser Erkrankung aufweisen. An diesen Zwerchfellbruch-Lungenorganoiden wolle man nun erforschen, weshalb sich die Reifung der erkrankten Lungen von gesunden unterscheidet. Diese Erkenntnisse könnten wiederum den Weg zu neuen Therapieoptionen ebnen.

Gewinnung von Organoiden aus Fruchtwasser als medizinischer Fortschritt

Unbeteiligte Fachleute sehen die neuen Erkenntnisse positiv. "Die Methode der Gewinnung von Organoiden aus Fruchtwasser mittels Fruchtwasseruntersuchung bietet spannende Möglichkeiten für die pränatale Diagnose und die Entwicklung rechtzeitiger medizinischer Behandlungen", erklärt etwa Agnieszka Rybak-Wolf, Leiterin der Technologie-Plattform Organoide am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, gegenüber dem Science Media Center. Das Vorgehen berge aber auch die üblichen, seltenen Risiken einer Fruchtwasseruntersuchung – wie Fehlgeburten oder Gebärmutterinfektionen.

Aus Fruchtwasser gewonnene Organoide hätten jedenfalls großes Potenzial für die Forschung: "Es gibt viele Fragen, die wir mit diesen Modellen angehen können, wie zum Beispiel, welche molekularen Mechanismen menschlichen Krankheiten zugrunde liegen und wie sie die Entwicklung und Funktion von Organen beeinflussen können", sagt Rybak-Wolf. Auch die Wirkung von Medikamenten auf erkrankte Organe könnte so gezielter getestet werden.

Auch Mandy Laube, Laborleiterin Neonatologie am Pädiatrischen Forschungszentrum des Uniklinikums Leipzig, hält den Ansatz für innovativ: "Die erzeugten Organoide eigenen sich im Besonderen für den Einsatz in der personalisierten Medizin." So könnten maßgeschneiderte Therapieansätze für den "Spender" entwickelt und individuelle Krankheitsursachen eruiert werden.

Thomas Kohl, Chefarzt am Deutschen Zentrum für Fetalchirurgie & minimal-invasive Therapie, sieht vor allem in ethischer Hinsicht Vorteile: Die wissenschaftliche Untersuchung vorgeburtlicher Zellen sei zwar schon bisher "durch Verwendung von fötalen Gewebeproben nach Schwangerschaftsabbrüchen möglich" gewesen. Allerdings, "in geringerem Ausmaß, mit viel größerem zeitlichen Aufwand, und mit größeren ethischen Bedenken".

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