Jetzt zählt nur der Augen-Blick
Vergessen wir kurz, dass es sich bei folgendem Zitat um einen der populärsten Irrtümer der Filmgeschichte handelt und Humphrey Bogart eigentlich etwas anderes gemeint hat. 80 Jahre nach „Casablanca“ klingt der Sager „Schau mir in die Augen, Kleines“ aktueller denn je.
Seit Mund und Nase hinter einer Maske verschwinden – in Geschäften, auf Märkten, in öffentlichen Gebäuden, in Öffis – bleibt nur noch der Augen-Blick, um vom Antlitz des anderen abzulesen. Das Lächeln an der Kassa, das nervöse Lippen-Beißen, die gerümpfte Nase bei strengem Öffi-Odeur – all das findet bis auf Weiteres im Verborgenen statt.
Anders als im asiatischen oder arabischen Raum sind halb bedeckte Gesichter für Europäer ein Novum und fordern ein Umdenken in der Kommunikation. „Missverständnisse sind jetzt vorprogrammiert“, ist Stefan Verra überzeugt. Der Experte für Mimik und Körpersprache beobachtet die neuen Bedingungen mit großem Interesse – auch in seiner Wahlheimat München herrscht ja seit dieser Woche coronabedingte Maskenpflicht in Öffis und Geschäften.
Der Mund gilt als wichtigste Informationsquelle in der menschlichen Mimik. Wird dieser Teil des Gesichtsausdrucks unsichtbar, fällt es schwer, Gesagtes in einen Kontext zu setzen: „Normalerweise schauen wir Gesprächspartnern nicht in die Augen, sondern lesen von den Lippen ab. Das ist jetzt nicht mehr möglich.“
Symbol für Gefahr
Der Soziologe Manfred Prisching hat sich schon lange, bevor das Virus unseren Alltag kaperte, mit dem Verhältnis Mensch und Maske befasst. Nun wird dieses ganz neu definiert: „Die Maske ist ständige Vergegenwärtigung des Umstands, dass die anderen ‚gefährlich‘ sind. Auf lange Sicht ändert das die Beziehungen. Im Herbst, wenn manche husten, wird man ihnen nach allen Seiten davonlaufen.“
Auch die gewohnte Kommunikation werde durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes erschwert. „Das menschliche Gehirn ist auf Gesichtswahrnehmung ausgerichtet, es werden dabei in Sekunden wesentliche Informationen über den anderen gewonnen. Vermummte Gesichter und die zugehörigen Menschen sind schwer oder gar nicht entzifferbar. Die Interaktion wird komplizierter. Sie ist ohnehin schon schwierig in einer individualistischen, pluralistischen Welt.“
Botox hat ausgedient
Vor allem fehlt nun das flüchtig ausgetauschte Lächeln, welches die in Zeiten von Krise und physischer Distanz dringend gebrauchte Nähe vermittelt. Wer seine Mimik vor dem Shutdown nicht mittels Nervengift lahmgelegt hat, ist nun im Vorteil: „Das Botox-Gesicht hat ausgedient“, sagt Verra. „Wir müssen Lächeln neu trainieren. Dabei ziehen wir unsere Wangenmuskeln so stark nach hinten und nach oben, dass rund um die Augen Lachfältchen entstehen. Je stärker, desto besser! Das ist der einzige Hinweis für das Gegenüber, dass der Mensch unter der Maske lächelt.“ Zurückhaltendes Lächeln wirke dank Mund-Nasen-Schutz starrend bis aggressiv, auch bei den besten Intentionen.
Wie wichtig nonverbale Kommunikation ist, zeigten Forscher der Vetmeduni anhand einer Studie mit Hunden: Es stellte sich heraus, dass die Tiere Emotionen in den Gesichtern ihrer Frauchen und Herrchen unterscheiden können. Auch beim Gassigehen könnten Maskenträger nun mehr gestikulieren müssen, um Lob und Tadel anzubringen. „Wir müssen jetzt mehr auf andere Signale des Körpers achten, auf ein Nicken oder hochgezogene Augenbrauen“, betont Verra. „Diese Gesten signalisieren: Ich wurde wahrgenommen.“
Ein Hinweis zum Schluss: Das Heben der Brauen gilt auch als Aufforderung zum Flirt – aber nur für den Bruchteil einer Sekunde und wenn dabei Lachfalten sichtbar sind. Den Humphrey-Bogart-Sager braucht es dann gar nicht mehr.
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