Diese Wüste lebt: Was Forscher im Kies entdeckten

Die unwirtliche Landschaft ist Lebensraum für Flechten, Algen und Pilze.
Dunkle Flecken in der Atacama erweisen sich als gänzlich neue Lebensgemeinschaft.

Von wegen Wüstenlack: In der Atacama-Wüste in Chile haben Forscher eine weltweit einzigartige Lebensgemeinschaft entdeckt – verborgen in den Steinchen des Wüstenkieses. Die darin lebenden Flechten, Algen und Pilze zehren von Photosynthese und dem wenigen Nebel, der morgens über die Wüste zieht. Dabei kommen sie mit weniger Wasser aus als jede andere bekannte Biokruste, wie die Forscher im Fachmagazin „Geobiology“ berichten.

Die Atacama-Wüstein Südamerika ist die älteste und trockenste Wüste der Erde. Organismen, die hier leben, haben sich über Tausende von Jahren an die extremen Bedingungen angepasst. Ein Forscherteam um Patrick Jung hat nun eine bislang unbekannte Lebensgemeinschaft aus Flechten, Pilzen, Cyanobakterien und Algen entdeckt und untersucht. Sie besiedelt winzige Steinchen, sogenannten Grit. Den Wasserbedarf deckt sie durch Nebel und Tau. Die Organismen zersetzen dabei auch das Gestein, auf und in dem sie leben. Die Forscher vermuten, dass sie auf diese Weise das Landschaftsbild der Atacama-Wüste geprägt haben.

Diese Wüste lebt: Was Forscher im Kies entdeckten

Ist der Grit angefeutet, werden verschiedene Flechtenarten sichtbar.

Schwarze Flecken unter der Lupe

In vielen Wüstengebieten finden sich größere schwarze Flecken im Sand. Dabei handelt es sich um mineralische Ablagerungen, den sogenannten Wüstenlack. „Uns ist aufgefallen, dass die schwarze Farbe intensiver wird, wenn Nebel aufzieht“, sagt der Wissenschaftler, der auch Erstautor der aktuellen Studie ist. Grund genug, um sich das Phänomen genauer anzuschauen. Bei diesen schwarzen Flecken handelt es sich um eine Ansammlung sechs Millimeter großer Quarz und Granit Steinchen, den Grit, wie es in der Fachsprache heißt, der Splitt und Kies ähnelt. „Sie erstrecken sich über den kompletten Nationalpark Pan de Azúcar“, sagt Jung.

Lebensgemeinschaft, die Photosynthese betreibt

Die Forscher um Jung haben bei diesen Flecken die Photosynthese-Aktivität mit einem speziellen Gerät gemessen. Es sendet Lichtstrahlen aus. Ein Organismus, der Photosynthese betreibt, nutzt einen Teil dieses Lichts dafür, einen anderen Teil hingegen nicht. Mit der Differenz lässt sich ermitteln, ob er photosynthetisch aktiv ist. „Dort gab es tatsächlich eine Reaktion“, so Jung weiter. In der Folge hat sich das Team dieses Gestein näher angeschaut. „Wir haben eine Lebensgemeinschaft aus Algen, Flechten, Cyanobakterien und Pilzen gefunden“, fährt er fort. Sie ummanteln die Steinchen, bilden aber auch eine Art Netz, mit dem sie über mehrere Steinchen hinweg wachsen und eine Kruste bilden.

Drohen und Satelliten als Datensammler

Für die Studie hat das Team außerdem Daten von Drohnen- und Satellitenbildern ausgewertet. „Große Teile des Nationalparks, der 360 Quadratmeter umfasst, und darüber hinaus sind von dieser Lebensgemeinschaft in Form von ausgedehnten schwarzen Flecken bedeckt.“

Diese Wüste lebt: Was Forscher im Kies entdeckten

Die Lebensgemeinschaften befinden sich auf und im Gestein.

Leben auch im Inneren des Steinchens

Im Labor im deutschen Kaiserslautern hat Jung die Organismen der Lebensgemeinschaft genauer untersucht. „Solche biologischen Bodenkrusten finden sich auch in anderen Regionen der Erde“, sagt der Biologe. „Wir haben es hierbei allerdings mit einem neuen Typen von Kruste zu tun, der winzige Steinchen besiedelt. Wir haben sie daher Grit Crust getauft.“ Bei seinen Analysen im Labor hat der Biologe zudem festgestellt, dass die Organismen sich nicht nur auf den kleinen Steinen ansiedeln. „Sie wachsen auch im Inneren“, fährt er fort. Dies liege an der porösen Gesteinsstruktur. Da die Steine recht hell sind, ist auch genug Licht vorhanden, um Photosynthese zu betreiben. Dies bietet zudem einen weiteren Vorteil, wie Jung erläutert: „Die Steine sind kühler als ihre Umgebung, was zur Folge hat, dass der Nebel dort eher kondensiert.“ Auf diese Weise stünde der Lebensgemeinschaft mehr Feuchtigkeit zur Verfügung als andernorts in der Atacama-Wüste, was die spezielle Beziehung zwischen den Organismen und den Grit-Steinchen erklärt.

Organismen für den Mars

Auch haben die Wissenschaftler untersucht, unter welchen Umständen die Organismen am besten Photosynthese betreiben. Im Vergleich zu biologischen Bodenkrusten aus anderen Wüsten der Erde benötige die Grit Crust der Atacama-Wüste nur halb so viel Wasser, was die herausragende Anpassung an die von Tau und Nebel eingebrachten Wassermengen und das Ausbleiben von Regen verdeutlicht. Die klimatischen und geologischen Gegebenheiten der Atacama-Wüste ähneln denen des Mars. Die geringen Ansprüche an die Verfügbarkeit von Wasser könnten diese Organismen als Kandidaten zur zukünftigen Kolonisierung des Mars auszeichnen, spekulieren die Forscher.

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Exportschlager für zünftige Reisen zum Mars.

Folgestudien notwendig

Durch die enge bio-geologische Beziehung zwischen den Organismen und den Grit-Steinchen vermuten die Wissenschaftler, dass die Mikroorganismen durch ihre Aktivitäten auch an Verwitterungsprozessen beteiligt sind. Da die Lebensgemeinschaft auch auf größeren Steinen zu finden ist, könnte sie das Landschaftsbild der Atacama-Wüste in den letzten Jahrtausenden geprägt haben. „Damit wären die kleineren Steinchen, an denen wir die Lebewesen gefunden haben, das Ergebnis dieser Prozesse“, fasst Jung zusammen. Folgestudien sollen die Hypothese überprüfen.

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