Wie ist es aber um die See wirklich bestellt? Wenn man sie als Patientin betrachtet, leidet sie unter vielfältigen Krankheiten. Eine sehr ernst zu nehmende sind marine Hitzewellen. „Wir sind mit steigenden Temperaturen konfrontiert, nicht nur an Land, sondern auch im Meer“, sagt Meeresbiologe Gerhard J. Herndl von der Universität Wien. Die Probleme im Meer sind vom CO2-Ausstoß also nicht zu trennen. Und: Es ist erwiesen, dass die Hitzewellen mehr werden und schädigend auf Organismen wirken.
Korallenriffe sind von dieser Entwicklung besonders betroffen. Das Great Barrier Reef in Australien ist in den vergangenen Jahren extrem in Mitleidenschaft gezogen worden. „Es gibt Schätzungen, wonach bis 2040 60 Prozent aller Korallenriffe massiv gefährdet oder abgestorben sind.“
Erwärmung führt auch zu anderen Änderungen im Ökosystem. Organismen wandern aus den Subtropen nach Norden. Sie verdrängen wiederum andere Arten, die in temperierten Gewässern leben, die wiederum auch nach Norden drängen und in subpolare und polare Gewässer einwandern.
Wanderbewegungen sind zudem durch den Schiffsverkehr zu beobachten. Tiere und Pflanzen kleben an den Rümpfen oder werden in den Ballastwassertanks mitgenommen. In letzteren sollen jeden Tag mehr als 7.000 Arten rund um den Globus reisen. Einmal in einem neuen Gebiet angekommen, können sie große Schäden verursachen. „Ein Beispiel ist die Meerwalnuss“, erklärt Herndl. Die Rippenqualle stammt eigentlich aus Mittelamerika. Im Schwarzen Meer hat sie das Ökosystem schon verändert. Sie hat es auch bis in die Ostsee geschafft. „Sie kommt in Massen vor und frisst alles leer.“
Der Rohstoffhunger der Menschen nimmt nicht ab. Er verlagert sich aber durch den notwendigen Ausstieg aus fossiler Energie weg vom Erdöl. Die benötigten Rohstoffe für E-Auto-Batterien sind auch am Meeresboden in sogenannten Manganknollen zu finden.
Konzerne stehen in den Startlöchern, damit sie unter Wasser abbauen können: Die Verhandlungen über die erlaubten Zonen für Tiefseebergbau laufen. Die Entscheidung soll schon bald getroffen werden.
Einmal erlaubt, wird das ein Problem für die Tiefseeorganismen. „Sie sind an konstante Bedingungen angepasst – klares, kaltes Wasser. Sie wachsen nicht schnell, weil wenig Nahrung in die Tiefe kommt. Sie werden groß, alt und pflanzen sich nur langsam fort.“ Der Grönlandhai etwa wird bis zu 500 Jahre alt. „Es gibt eine Fülle von unterschiedlichem Leben in der Tiefsee.“ Und die Artenvielfalt ist noch nicht einmal gänzlich ergründet.
Bis jetzt ist das Meer ein Helfer. Es reguliert unser Klima. „Wenn es nicht so viel Wärme aufgenommen hätte, wäre es um 36 Grad wärmer an Land, als es jetzt ist.“ Wie könnte es in der Realität zurückschlagen? Herndl beschreibt ein mögliches ultimatives Szenario: „Durch die Erwärmung der Arktis ändern sich die Meeresströmungen. Es gibt Anzeichen, dass der Golfstrom abnimmt. Wenn er zum Erliegen käme, würde es in der polaren, subpolaren Region bis zu unserem Breitengrad kälter werden, während es in den Tropen heißer wird.“ Die Folge: Wanderbewegungen von Menschen.
Der Autor Schätzing macht sich übrigens die Annahme zunutze, dass viele Menschen weniger über das Meer wissen als über das All. Ist das so? Man wisse immer zu wenig, sagt Herndl. Aber man betreibe seit zumindest 100 Jahren intensive Meeresforschung mit immer besseren Methoden. „Viele große Staaten haben Forschungsstätten – nicht nur aus biologischen oder ökologischen Interessen, sondern auch aus wirtschaftlichen.“
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