Darum suchen Forscher neuerdings Urmenschen-Erbgut im Höhlenstaub

Darum suchen Forscher neuerdings Urmenschen-Erbgut im Höhlenstaub
Bisher ging beim Enträtseln der menschlichen Evolution nichts ohne Knochen. Jetzt wird alte DNA sogar in Bodenproben nachgewiesen.

Begleiten Sie uns in die Denisova-Höhle im Altai-Gebirge in Südsibirien.

Darum suchen Forscher neuerdings Urmenschen-Erbgut im Höhlenstaub

Eingang zur Denisova-Höhle, wo Überreste von Neandertalern und ihrer asiatischen Verwandten, den Denisovaner, gefunden wurden.

Oder in die Satsurblia-Höhle im georgischen Kaukasus.

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Hier sieht man den Eingang der Höhle von innen.

Oder vielleicht doch lieber in die Estatuas-Höhle in Nordspanien.

Alle drei dienten unseren Vorfahren als Wohnungen. So viel ist lange bekannt. Jetzt aber gelingt es Forschenden immer öfter, im Höhlenstaub Erbgutreste von Neandertaler, Denisova-Mensch oder Homo sapiens aufzustöbern. So wird es möglich, herauszufinden, wer wann mit wem und unter welchen Lebensumständen in den Höhlen gewohnt hat.

Die jüngste Erfolgsmeldung kommt nun von der Universität Wien. Naja, eigentlich aus dem Kaukasus. Die Satsurblia-Höhle dort wurde von Menschen zu unterschiedlichen Zeiten bewohnt. Davon zeugen die Überreste eines Menschen. Sein sequenziertes Genom verrät, dass er vor 15.000 Jahren gelebt hat. In den älteren Schichten der Höhle wurden keine weiteren menschlichen Überreste entdeckt.

Innovativer Ansatz

Darum hat ein internationales Forscher-Team rund um Ron Pinhasi von der Universität Wien nach einem innovativen Ansatz gesucht. Der Ansatz: Uralte Sedimente aus Höhlen können DNA über Jahrtausende konservieren, die mithilfe aufwendiger Sequenzierungsmethoden und Datenanalyseressourcen rekonstruiert werden soll.

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Dort wurden 2017 die Proben gesammelt.

Die Idee ging auf, berichten die Forscher im Wissenschaftsmagazin Current Biology: Sie haben drei Säugetier-Umweltgenome aus einer einzigen 25.000 Jahre alten Bodenprobe der Höhle im Kaukasus gewonnen. Die Analyse des genetischen Materials ergab, dass das menschliche Umweltgenom zu einer alten menschliche Abstammungslinie gehört, die sich teilweise in der heutigen west-eurasischen Bevölkerung fortsetzt.

Ganze vergangene Ökosysteme

Neben dem identifizierten menschlichen Genom konnten in den Bodenproben auch das Erbgut von Wolf und Bison nachgewiesen werden. Weitere Analysen sollen nun zeigen, wie Tiere und Menschen, aber auch Klimaveränderungen zusammengespielt haben. Durch die Möglichkeit der DNA-Gewinnung aus Bodenproben kann die Evolution ganzer vergangener Ökosysteme rekonstruiert werden, so das vorläufige Fazit der Forscher.

Höhle in Spanien

Auch in Nordspanien brachte die neue Methode erst unlängst Erstaunliches zu Tage: Forscher der Universität Madrid fanden dort zwar Neandertaler-Zehenknochen, die für die DNA-Probenentnahme aber zu klein waren. "Es gab für uns keine Möglichkeit, die genetische Beschaffenheit der Neandertaler, die in Estatuas lebten, zu untersuchen", sagt Asier Gómez-Olivencia, einer der beteiligten Wissenschafter.

Die aus den Sedimenten extrahierte Zellkern-DNA brachte dann den Durchbruch: Nicht eine, sondern zwei Neandertaler-Populationen hatten in der Höhle gelebt, wobei die ursprüngliche Gruppe vor etwa 100.000 Jahren durch eine spätere Gruppe ersetzt worden war. Als Grund für den Bevölkerungsaustausch haben die Forscher unter anderem Klimaveränderungen ins Auge gefasst.

Premiere

Die ersten, die Erfolge mit Zellkern-DNA aus Sedimenten verkünden konnten waren aber vor drei Monaten Max-Planck-Forschende aus Leipzig: Im April gaben sie bekannt, dass sie im Höhlenstaub der Denisova-Höhle in Sibirien Erbgutreste von Neandertalern und Denisovanern und erstmals auch DNA von modernen Menschen nachweisen konnten.

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Aussagekräftige Sedimentschichten in der Hauptkammer der Höhle

Zusätzlich dokumentieren sie verschiedene andere Säugetierarten, darunter Bären und Hyänen, die in der Gegend Kalt- und Warmzeiten durchlebten.

Zuvor waren sie vor demselben Problem wie unzählige andere Forschergruppen gestanden, die unsere Evolution enträtseln wollen: Sie hatten nur acht Knochenfragmente und Zähne von Neandertalern und Denisovanern, die nicht ausreichten, um die 300.000-jährige Besiedlungsgeschichte der Denisova-Höhle im Detail zu rekonstruieren oder die verschiedenen Arten von Steinwerkzeugen und anderen in der Höhle ausgegrabenen Gegenständen bestimmten Homininengruppen zuzuordnen.

Interdisziplinäres Team

Man trommelte also ein interdisziplinäres Team aus Archäologen, Genetikern, Geochronologen und weiteren Wissenschaftlern zusammen: Gemeinsam sollten sie dem Stub der Höhle seine Geheimnisse entlocken: "Allein das Sammeln der Proben aus allen drei Kammern der Höhle und die Dokumentation des genauen Fundorts einer jeden Probe hat uns mehr als eine Woche gekostet", erzählt Zenobia Jacobs, die das Team der Geochronologen leitet.

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Die Forschenden um Zenobia Jacobs beim Sammeln von Sedimentproben in der Südkammer der Höhle.

Die Anstrengung hat sich gelohnt: In 175 von mehr als 700 Sedimentproben ist es gelungen, Erbgut von Denisovanern, Neandertalern oder frühen modernen Menschen nachzuweisen. Die chromosomalen DNA-Analyse aus Sedimenten bietet somit ganz neue Möglichkeiten der Evolution des Menschen auf die Spur zu kommen: "Da wir bei der Erforschung alter DNA nicht mehr auf menschliche Skelettreste angewiesen sind, können wir jetzt das Erbgut von mehr menschlichen Populationen an einer größeren Zahl von Orten untersuchen, als man es bisher für möglich gehalten hat", sagt der deutsche Genetiker Matthias Meyer.

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Matthias Meyer in seinem DNA-Labor am Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology in Leipzig.

Das lasse einen Traum wahr werden: !In den Sedimenten sind so viele Information versteckt, dass sie uns und viele andere Genetiker ein Leben lang beschäftigen werden."

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