Fast eine Million Soldaten einer internationalen Allianz wird 1991 bei der Operation „Desert Storm“ eingesetzt, um die völkerrechtswidrige Annexion Kuwaits durch den Irak rückgängig zu machen. Gedeckt wird die Operation durch die Resolution 678 des UN-Sicherheitsrates. Zur Befreiung Kuwaits dürften „alle nötigen Mittel“ eingesetzt werden, hieß es – es war das erste Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen, dass Washington und Moskau gemeinsam die Anwendung kriegerischer Mittel zur Durchsetzung des Völkerrechts guthießen. „Das war eine Art „goldener Moment„ für den Multilateralismus, an dem „das Recht des Dschungels“ der „Herrschaft des Rechts“ gewichen ist, wie es der damalige US-Präsident HW Bush ausdrückte. Der Rest ist Geschichte, der Golfkrieg blieb „die gute Ausnahme von der schlechten Regel“, sagt Völkerrechtsexperte Ralph Janik zum KURIER.
„Annexion“ bedeutet im Völkerrecht die gewaltsame Aneignung von Land gegen den Willen des Staates, dem es zugehört, durch einen anderen Staat.
Nach Artikel 51 der UN-Charta lösen Annexionen Befugnisse zur militärischen Notwehr des Angegriffenen und zur Nothilfe seitens dritter Staaten aus. In seiner Rede vom 21. Februar sprach Russlands Präsident Wladimir Putin der Ukraine zum wiederholten Male das Existenzrecht ab – sie sei ein Teil Russlands.
Ein Argument, das faktisch nicht standhält: Die Sowjetunion löste sich Anfang der Neunzigerjahre in souveräne Staaten auf. Dies hielt freilich Putin weder von der Annexion der Krim noch vom Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Annexion der besetzten Gebiete ab.
Nichts vergleichbares
Mit der Annexion der besetzten Gebiete in der Ukraine ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Ukrainer, die sich als Ukrainer sehen, zwangsrekrutiert werden, um gegen Ukrainer zu kämpfen. „Vergleichbare Fälle, wo die Verantwortlichen von internationalen Gremien genau dafür zur Rechenschaft gezogen wurden, gab es noch nicht, es ist aber ein eindeutiges Kriegsverbrechen gemäß Artikel 8 des Römischen Statuts vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH)“, sagt Janik. Russland und die Ukraine sind dem IStGH nicht beigetreten.
Der Gerichtshof kann aber trotzdem mögliche Verbrechen auf dem Gebiet der Ukraine untersuchen. Dass Beschuldigte in puncto Annexionen oder Kriegsverbrechen in der Ukraine schon bald auf der Anklagebank sitzen, ist unrealistisch. Mittel- und langfristig kann der IStGH aber Haftbefehle erlassen. Er hat keine eigene Polizei, die er schicken könnte, um dort jemanden zu verhaften. Die möglichen Beschuldigten müssten allerdings gut überlegen, in welche Länder sie reisen.
Ein anderes Gremium, der Internationale Gerichtshof (IGH) – das höchste Gericht der UNO – hatte im April angeordnet, „dass Russland sofort die militärische Gewalt in der Ukraine beenden muss“. Von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates hat lediglich Großbritannien eine Unterwerfungserklärung an den IGH abgegeben. In puncto völkerrechtswidrige Annexionen wurde bisher nur der Irak zur Rechenschaft gezogen.
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