18 Monate lang hat der Archäologe Nicholas Reeves an seiner Theorie gearbeitet. Ein weiteres Jahr lang hat er versucht, sich selbst zu widerlegen. „Es ist mir nicht gelungen. Je länger ich darüber nachdachte, desto schlüssiger wurde alles“, erzählte er bereits 2015 im KURIER-Interview. Reeves vermutet, dass hinter der Nordwand des Tutanchamun-Grabes der eigentliche Eigentümer der Grabkammer liegt. Und das könnte niemand Geringerer als Nofretete sein. Ihr Stief- und Schwiegersohn Tutanchamun wurde dann in einer Art Vorkammer beigesetzt, schreibt Reeves in seiner 16-Seiten-Publikation „The Burial of Nefertiti?“.
Die Theorie war so spektakulär, dass ihr das Antikenministerium nachging: Im September 2015 wurde ausgesuchten Experten gestattet, per Radar das Tut-Grab auf dahinterliegende Hohlräume abzusuchen.
Rückblick
Der Ägyptologe erinnert sich gut, wie ihm im Februar 2014 erstmals etwas schwante: Er studierte die hochauflösenden Bilder und 3-D-Scans, die die spanische Firma Factum Arte von den Wandmalereien und der Oberflächenstruktur der Kammer des Tut-Grabs gemacht hatte. Die Fotos dienten als Vorlage für eine originalgetreue Replika der Ruhestätte Tutanchamuns am Westufer von Luxor. „Als ich die Präzisionsscans betrachtete, entdeckte ich Linien – rechtwinklig verlaufende Risse.“
Je genauer Reeves hinschaute, desto deutlicher formten diese Linien die Umrisse zweier Durchgänge – einer an der Westwand der Kammer, einer an der Nordwand.
Er argumentierte, das Tutanchamun-Grab sei viel zu klein und erinnere im Aufbau eher an ein Königinnen-Grab.
Tuts Grab ist ein Grab in einem Grab. Es war ursprünglich ein Durchgangsgrab.
von Nicholas Reeves
Ägyptologe
Es müsse also weitere Kammern geben. Eine davon beinhalte das Grab der Nofretete. Tatsächlich rätselten bereits Generationen von Archäologie-Studenten in Seminaren über den komischen Grundriss des Tut-Grabes.
Umgewidmet
Folgendes könnte passiert sein, denkt der britische Ägyptologe: Als Nofretetes Stiefsohn und Nachfolger, der 19-jährige Tutanchamun, überraschend starb, habe man hastig die beiden vorderen Kammern zu dessen Grab umgewidmet. Die hintere von Nofretete wurde dagegen abgetrennt und zugemauert.
Unterdessen blieben fünf Radarscans ohne Ergebnis. Die Theorie schien tot. Doch Reeves war hartnäckig: 2019 hat er eine neue wissenschaftliche Arbeit vorgelegt. Im Zentrum: die Nordwand mit den sieben Figuren im Grab von Tutanchamun. Und Geheim-Grabungen von Howard Carter, der angeblich auch schon weitere Kammern vermutete.
„Das Hauptargument, das ich gefunden habe, liegt in den Wandmalereien begründet. Die Nordwand war dekoriert und in Gebrauch, ehe Tut auftauchte. Die Figuren, die dort aufgemalt waren, gehörten zum ursprünglichen Grabbesitzer, der dahinter begraben liegt.“
„Nein, diese Theorie ist falsch“, hält der Ägyptologe Zahi Hawass vehement dagegen. „Niemals hätte das Grab von Tutanchamun das eines anderen Herrschers abschneiden können – das würde den spirituellen Fluss stören“, sagt er.
Mostafa Waziry gesteht zu: „Es ist eine Theorie. Scans ergaben, da sei was. Kontrollscans sagten, da ist nichts. Ein dritter Versuch brachte wieder andere Ergebnisse. Also: Wir warten! Wir entscheiden gar nichts!“, sagt der Ägyptologe knapp und klar. Und weil er als Generalsekretär des Obersten Rates der Altertümer Ägyptens der Herr über alle Monumente im Land ist, wird von seinem Wort einiges abhängen.
Wir reden hier über Tutanchamun, den berühmtesten König im berühmtesten Grab.
von Mostafa Waziry
Generalsekretär des Obersten Rates der Altertümer Ägyptens
"Wir tun sicher nichts, ehe wir nicht 100, sondern 1.000 Prozent sicher sind“, stellt Waziry klar. „Und wenn wir 100.000 Prozent sicher sind, können wir vielleicht ein winziges Loch in die Wand bohren, um eine kleine Kamera einzuführen. Erst danach können wir etwas entscheiden.“
Wobei das vielleicht nie nötig werden wird, hat sich doch auch Zahi Hawass längst auf die Fersen der legendären Königin geheftet. Wo? Natürlich im Tal der Könige.
Und gar nicht so weit vom Tut-Grab entfernt.
Sogesehen scheint eines sicher: Auch die nächsten 100 Jahre sind möglicherweise gut für Entdeckungen.
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