"Wir haben die mRNA-Kodierung auch für andere Krankheiten getestet"

Hungarian biochemist Katalin Kariko
Medizin-Nobelpreisträgerin Katalin Karikó m Interview darüber, wie sie vor 30 Jahren die Grundlage für die Corona-Impfungen legte

Geboren 1955 im ungarischen Szolnok, einer Kleinstadt östlich von Budapest, die damals kaum 30.000 Einwohner hatte, hätte niemand der Tochter eines Fleischhauers eine Zukunft als Akademikerin prophezeit. Doch schon im Gymnasium zeigte Katalin Karikó großes Interesse an Chemie und studierte nach der Matura Biologie an der Universität von Szeged. Nach der Auswanderung in die USA widmete sie sich der Forschung von RNA-Immunoaktivierung. Das bildete die Grundlage für die Entwicklung von mRNA-COVID-Impfstoffen, die sie gemeinsam mit ihrem Kollegen, dem Immunologen Drew Weissman erfand.

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Weissman und Karikó wurden am Montag mit dem Nobelpreis für Physiologie und Medizin ausgezeichnet. (Das Gespräch mit der Biochemikerin fand 2022 statt, und sie sprach damals nur über die Doppelimpfung, nicht über weitere Booster.)

KURIER: Die meisten haben den Eindruck, dass der COVID-Impfstoff sehr schnell erfunden wurde. Wann haben Sie mit der Arbeit daran begonnen?

Katalin Karikó: Die Arbeit am Großteil dieser Entwicklung habe ich schon vor 20, 30 Jahren gemacht, als ich die Modifizierung dafür begonnen habe. Was so viel heißt wie: der Impfstoff darf nicht entzündungserregend sein und muss das Immunsystem viel besser stärken als herkömmliche Impfstoffe. Die letzten acht, neun Jahre war ich bei BioNTech angestellt, wo wir die Rezeptur beobachtet und verbessert haben, RNA ist ja in einer kleinen Lipidblase. 2014 konnten wir dann identifizieren, was letztlich zu dem Impfstoff führte. Und wir modifizierten das Messenger RNA, um es so zu optimieren, dass man mehr Protein daraus erzeigen kann. Dasselbe wurde übrigens auch für alle anderen Impfstoffe gemacht, die bei BioNtech entworfen wurden, nicht nur für diesen. Als die Pandemie ausbrach, konnten wir ganz schnell reagieren, weil wir eben schon Jahrzehnte daran gearbeitet hatten.

Was war ursprünglich der Grund, warum Sie damals auf mRNA kamen?

Ich war davon überzeugt, dass es als Therapie für eine sehr große Bandbreite an Krankheiten gut sein würde. Für Knochentherapie, Haut, Schmerz, Krankheiten, die jeder Mensch hat. Weil ich lange in Neurologie gearbeitet hatte, konnte ich mir vorstellen, dass man Schlaganfalls-Patienten mit mRNA behandeln kann. Mein Kollege Drew Weissman machte mich dann darauf aufmerksam, dass das RNA, dass wir herstellten, sehr entzündungsfördernd war, und da begannen wir zu überlegen, wie wir es entzündungshemmend machen konnten. Denn jeder von uns trägt mRNA in unseren Körpern, in unseren Zellen, das uns nicht schadet, aber wenn es von außen zugeführt wird, erkennt es der Körper als Fremdeinwirkung und zeigt eine Immunreaktion. Anfangs dachten wir, dass für den Impfstoff ein entzündendes Immunogen nötig ist, aber wir erkannten sehr schnell, dass sich das reguläre RNA nicht gut dafür eignet. Als wir dann die Nukleoside austauschten, hatten wir einen non-immunogenetischen Impfstoff, der die Basis für Moderna und Pfizer ist.

Die mRNA (Boten-RNA) in den Impfstoffen ist die „Bauanleitung“ für einen einzigen Baustein des Virus, das Spike-Protein.  Einzelne Zellen beginnen dann, dieses Protein  selbst herzustellen. Das Immunsystem erkennt es als fremd, bildet Antikörper und Abwehrzellen.

Das heißt, wie bei so vielen Erfindungen, hatten Sie zu Beginn eine ganz andere Anwendung zum Ziel?

Ja, wir haben die mRNA-Kodierung ja auch für viele andere Krankheiten getestet, wie z.B. Multiple Sklerose. Dadurch kamen wir auch drauf, dass der Körper nur die non-immunogenetische Version toleriert. Natürlich unterscheidet sich die Anwendung: beim Moderna- und Pfizer-Impfstoff braucht man einen Immunsystem-Aktivator, bei der Behandlung von anderen Krankheiten willst du aber nicht aktivieren, das heißt, dass wir ein anderes Lipid verwenden.

Das klingt für den Laien alles sehr kompliziert, und so, als hätten Sie Tag und Nacht an dem Impfstoff gearbeitet. War das so?

Die Lösung zu finden war sehr einfach, denn wir hatten ja schon seit 2018 mit Pfizer an einem Influenza-Impfstoff gearbeitet. Wir mussten den nur für den Corona-Virus modifizieren. Die Technologie war ja schon vorhanden, wir konnten die Sequenz ganz schnell verändern, und sobald du das hast, dauert es nur noch drei Tage, um das Antigen zu entwickeln, um das kritische Protein zu kodieren. Innerhalb von zwei Stunden wird das RNA kreiert und eine halbe Stunde später siehst du das Protein in der Zelle.

Warum braucht man eine Doppelimpfung? Und warum all die Boosters?

Wir wissen aus Tierversuchen, dass man immer eine primäre und eine sekundäre Impfung braucht. Die primäre gibt einen Schutz, aber erst die sekundäre gewährleistet, dass die Wirkung auch anhält. Wir wissen aus Studien, dass Menschen, die die Coronavirus-Erkrankung hatten, sechs Monate lang immun dagegen sind. Die Doppelimpfung hingegen hält viel länger an. Ja, sicher, es gibt Virusvarianten, aber die Zellimmunität ist immer noch sehr stark, was bedeutet, dass die Antikörper auch noch immer Schutz dagegen bieten.

Wie hat sich die Zusammenarbeit mit Drew Weissman ergeben?

Wir lernten uns auf der Pennsylvania Universität kennen, das war 1998. Ich habe sehr viel über Impfungen und Immunologie von ihm gelernt und ihm alles über mRNA beigebracht. Wir haben uns sehr gut ergänzt. Drew Weissman, der vorher mit Dr. Fauci zusammengearbeitet hat, wollte den mRNA-Impfstoff eigentlich für HIV entwickeln, hat aber dann herausgefunden, dass es bei HIV viel mehr um die Genetik selbst geht. Bei den Menschen, die gegen HIV resistent sind, hat das viel mehr mit den Genen zu tun als mit Antikörpern.

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Wann und warum haben Sie Ungarn verlassen?

Ich liebe Ungarn, aber es gab für mich keine Jobmöglichkeiten mehr. Ich arbeitete in einem Routinejob, der mir das Äquivalent von $ 100.- einbrachte. Davon konnte man in Ungarn in den 1980ern gerade so leben. 1985 bin ich mit meinem Mann und meiner Tochter ausgewandert, weil ich eine Einladung der Temple University in Philadelphia bekam. Drei Jahre später erhielt ich eine Einladung von John Hopkins, aber mein Boss war darüber so verärgert, dass er uns anzeigte und deportieren lassen wollte. John Hopkins zog daraufhin ihr Angebot zurück. Ich arbeitete Tag und Nacht, schlief in meinem Büro und verdiente $ 70.000 pro Jahr. Inzwischen lebte auch meine Mutter bei uns, ich musste also vier Personen erhalten. 1989 wechselte ich dann zur Medizinischen Fakultät der Universität Pennsylvania. Dort versuchte eine Vorgesetzte meinen Erfolg zu verhindern. Ich muss Ihnen sagen, ich wurde in meiner Karriere viel öfter von Frauen angefeindet als von Männern. Aber jeder Rückschlag ist eine neue Chance zu lernen. Ohne sie hätte ich mich nie mit Molekularbiologie beschäftigt.

Wie war die Kindheit Ihrer Tochter, als Sie so hart gearbeitet haben?

Meine Tochter Susan ist zweifache Olympiasiegerin und mehrfache Weltmeisterin im Rudern. Ich glaube, sie hat aus Erfahrung gelernt, denn ich war nicht da, um ihr zu sagen, dass sie lernen soll, ich war nicht da, um sie in der Früh aufzuwecken und in die Schule zu bringen.

Pfizer und Moderna wurden mit den COVID-Impfstoffen noch reicher als sie vorher waren. Haben Sie daran verdient?

Wir haben für die Forschung einen Zuschuss von einer Million Dollar bekommen, das war das erste und einzige Mal in meinem Leben. Aber die Universität wollte uns kein eigenes Patent zugestehen. Und dann haben sie die Rechte an Moderna und BioNTech verkauft. Mich stört das nicht sehr. Wenn ich eine Milliarde hätte, würde ich mir nur den Kopf darüber zerbrechen, was ich damit machen soll.

 

 

 

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