Er hat das Phänomen erforscht und die Ergebnisse im Journal Scientific Reports veröffentlicht. „Die Weihnachtsfeier als Ritual ist der Spiegel der Organisationskultur und soll etwas Wertschätzendes für das vergangene Jahr sein“, sagt er. Sie erhalten den sozialen Kitt. Die gemeinschaftsfördernde Dimension scheint wesentlich: „Der Mensch lebt in dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit zur Welt und Integration in eine Gemeinschaft. Rituale kommen diesen Bedürfnissen nach“, weiß Blattner.
Sehnsucht nach Ankerpunkten kommt auf
Die Wochen rund um Weihnachten gelten als Übergangszeit. „Sie kann dazu dienen, Vergangenes zu würdigen, abzuschließen und zuversichtlich in einen neuen Jahreskreis, beziehungsweise in eine neue Lebensphase zu gehen“, sagt Blattner. Auch um Silvester und Neujahr können Rituale, wie etwa das Formulieren von Vorsätzen, den Wunsch nach Veränderung unterstützen. In therapeutischen Prozessen werden Rituale genutzt, um Sinn zu stiften, zu ermutigen, zu verbinden oder zu versöhnen.
Große Feste dienen als Ankerpunkte, die Struktur geben, speziell wenn die Welt als unsicher wahrgenommen wird. „Rituale sind immer auch auf psychologische Bedürfnisse zurückzuführen, die bei Erfüllung letztlich zur Erfüllung grundlegender Urbedürfnisse beitragen“, heißt es dazu im wissenschaftlichen Sammelwerk „Psychologie der Rituale und Bräuche“ des deutschen Sozialpsychologen Dieter Frey (Springer-Verlag).
Da geht es um die Sehnsüchte von Menschen nach Orientierung, Geborgenheit, Einordnung und soziale Identität. Sie würden außerdem ermöglichen, die Zyklen der Natur bewusster zu erfahren. Das kommt speziell rund um die Wintersonnwende und in den Raunächten zum Ausdruck – sie werden als mystisches Naturereignis wahrgenommen.
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Stabilität wird durch Rituale verstärkt
Wenn Rituale ähnlich und wiederkehrend gefeiert werden, wirkt das stabilisierend – insbesondere für Kinder. „In Gemeinschaften, Familien und Partnerschaften können Rituale, Struktur, Verlässlichkeit, Beständigkeit, Kontinuität und Zusammenhalt geben. Dies wird dadurch verstärkt, dass sie oftmals mit etwas Positivem verbunden sind, das Menschen zusammenbringt, beispielsweise beim gemeinsamen Feiern eines Festes wie Weihnachten“, so Dieter Frey und Katja Mayr in „Psychologie der Rituale und Bräuche“.
Kindheitserinnerungen tauchen auf
Dazu kommen sinnliche Erfahrungen, die Barbara Blattner sehr schätzt: „Diese Zeit ist von Düften aller Art geprägt, die Gewürze bei Teezeremonien, die Zutaten der Weihnachtsbäckerei, die Dämpfe der Räucherwaren. Sie können Erinnerungen an unsere Kindheit wachrufen und Gefühle des Geborgenseins auslösen.“
Rituale bergen aber auch Gefahren, schreibt Ritualforscher Frey: „Zum Beispiel verlieren sie bei unterschiedlicher emotionaler Beteiligung bei der Ausführung ihre tiefere Bedeutung und werden dann zu leeren Ritualen.“ Im schlimmsten Fall dienen sie der Manipulation.
Die eigenen Motive hinterfragen
Umso wichtiger ist es, sie bewusst einzusetzen, im Sinne einer „humanistischen Grundidee, die von Respekt und Wertschätzung sowie die Vorstellung einer Gesellschaft, die auf Toleranz, Menschlichkeit, Offenheit und Akzeptanz von Vielfalt beruht“, wie es bei Ritualforscher Frey heißt. Deshalb sei es bedeutend, die eigenen Motive dafür gut zu kennen, betont Barbara Blattner: „Mache ich das, weil es angesagt ist oder weil ich es möchte? Rituale sind nur dann sinnvoll, wenn sie uns guttun, einen gewissen Sinn stiften oder heilsam sind.“
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