Flüsse umgeleitet
Schon seit Jahrhunderten versuchen die Venezianer, ihre Stadt vor dem Wasser zu schützen. Im 16. Jahrhundert gründeten sie ein „Wasserkomitee“, das die Aufgabe hatte, das Versanden der Lagune aufzuhalten: Die Flüsse Sile, Brenta und Piave wurden so umgeleitet, dass Sand und Schlick nicht mehr in die Lagune gespült wurden. Noch heute verlaufen die Flüsse in diesen Betten. Um die Stadt vor den Wassermassen der Adria zu schützen, baute man Wehre und Dämme an der dem Mittelmeer zugewandten Seite der Stadt. Vollständiges Abschotten war aber nicht möglich, weil der Austausch des Wassers zwischen Meer und Lagune für das Ökosystem enorm wichtig ist.
All diese Maßnahmen reichen heute aber bei Weitem nicht mehr. Geht die Entwicklung so weiter, wie es der Weltklimarat vorhersagt, könnte Venedig in 80 Jahren jeden zweiten Tag zumindest teilweise unter Wasser stehen.
Schuld am Hochwasser sind nicht nur der Klimawandel und der damit verbundene Anstieg der Meeresspiegel. Die Stadt sackt allmählich ab. Venedig liegt heute etwa 25 Zentimeter tiefer als noch vor hundert Jahren. Vor allem die Entnahme von Grundwasser hat diesen Prozess beschleunigt. Seit Ende der Sechzigerjahre ist das zwar verboten. Doch laut einer Studie aus dem Jahr 2012 sinkt die Stadt trotzdem weiter – um etwa zwei Millimeter pro Jahr. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass sich die Erdplatte, auf der Venedig liegt, langsam unter die Eurasische Platte schiebt.
Mose – die große Unvollendete
„Viel hängt davon ab, wie es mit Mose weitergeht. Das Hochwasserprojekt mit seinen mobilen Toren ist superinnovativ“, sagt Klimaforscherin Reimann. „Modulo Sperimentale Elettromeccanico“, kurz Mose, soll – so der Plan der Ingenieure – an drei Eingängen zur Lagune die Fluten der Adria mit Hilfe riesiger Stahlkästen fernhalten. Fünf Meter dick, 20 Meter breit und bis zu 30 Meter hoch sind die in Betonfundamenten verankerten Kästen. Bei normalem Wasserstand liegen die Stahlkolosse am Meeresgrund verborgen. Sobald der Wasserspiegel auf einen Meter über Normal steigt, wird computergesteuert Luft in die Kästen gepresst. Dadurch richtet sich die künstliche Mauer auf, und Venedig wird vom offenen Meer abgeriegelt.
2003 wurde mit dem Bau begonnen, 2011 wollte man fertig sein. Dann 2014, später 2017. Jetzt macht die italienische Regierung Druck: Die Architektin österreichischer Herkunft, Elisabetta Spitz, wurde zur neuen Mose-Kommissarin ernannt, die dafür sorgen soll, dass das milliardenschwere Projekt bis 2021 fertiggebaut wird. Bisher sind die Sperren nicht einsatzbereit und Mose trägt den Namen „die große Unvollendete“.
Reimann: „Es gibt an den bereits installierten Toren erste Korrosionen.“ Sie lassen sich nicht bewegen. „Da muss man schon wieder investieren.“ Trotzdem ist die Klimaforscherin zuversichtlich, auch weil Ministerpräsident Giuseppe Conte dieser Tage verlautbarte, die Anlage sei zu 92 bis 93 Prozent fertig: „Wenn die Tore dann stehen, sollten sie eigentlich vor Hochwasser von bis zu drei Metern schützen. Das sollte schon funktionieren.“
Das ist auch dringend nötig: „Was wir definitiv wissen“, sagt Klimaforscher Levermann: „Ereignisse wie jetzt in Venedig werden durch die Klimaerwärmung verstärkt. Wenn sich Ozeane erwärmen, verdunstet mehr Wasser in die Atmosphäre und das muss wieder raus. Dadurch entsteht mehr Niederschlag für den ganzen Globus.“
Darum sind in der nördlichen Adria auch andere Kulturerbestätten bedroht. „In Kroatien die historische Stadt Trogir und die Kathedrale in Sibenik, in Italien die Renaissancestadt Ferrara im Po-Delta und die Basilika von Aquileia“, zählt Reimann auf. „Natürlich kann man überlegen, Glaswände aufzustellen oder Monumente abzusiedeln.“ In manchen Fällen wie bei der Kirche von Sibenik sei das sogar möglich. Meist aber nicht. Reimann: „Wir werden also nicht um Klimaschutz herumkommen und müssen schauen, dass der Meeresspiegel aufhört zu steigen.“
P.S. Laut Prognosen der Meteorologen können die Venezianer ihre Gummistiefel noch länger nicht einpacken. Tief und Regen bleiben jedenfalls bis Montag in der Lagune.
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