Was Menschen empathisch macht – oder eiskalt
Empathie – ein Begriff, der oft benützt wird, um Täterbilder zu zeichnen. So auch im Fall jenes Schülers, der den Mord an einer Siebenjährigen in Wien gestanden hat. Hervorstechend sei die Empathielosigkeit des Jugendlichen, hieß es seitens der Polizei.
Empathie steht für die Fähigkeit, die Gefühls- und Gedankenwelt anderer Personen zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Ist Empathie angeboren, ist sie erlernbar? Und gibt es Menschen, denen diese Eigenschaft völlig fehlt? Claus Lamm, Professor für Biologische Psychologie an der Uni Wien, forscht in dem jungen Gebiet der Sozialen Neurowissenschaften. Er sagt: „Der Mensch hat die genetische Ausstattung, empathisch auf andere zu reagieren. Es ist eine evolutionär bedingte Fähigkeit, die wir als Gruppenlebewesen entwickelt haben. In diesem Sinne gehört Empathie zur biologischen Grundausstattung.“ Eine recht neue Studie von Forschern der Universität Cambridge zeigt, dass die Rolle der Gene überschaubar ist, ihr Einfluss macht zehn Prozent aus. Sozialisation, Erziehung und Erfahrung sind bedeutender.
Empathie üben
Empathie ist in der Tat trainierbar, zeigt das weltweit einzigartige ReSource Projekt, das Prof. Tania Singer vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig initiiert hat. Laien werden trainiert, um etwa die Empathiefähigkeit oder eine Perspektivenübernahme („In den Schuhen des anderen gehen“) zu verbessern. Mit Erfolg.
Aus Lamms Sicht handelt es sich bei Empathiefähigkeit auch um eine Kulturleistung: „Jeder hat es letztendlich selbst in der Hand, wie viel oder wie wenig Empathie er für bestimmte Personen oder Personengruppen empfindet.“ Da gibt es große Unterschiede: So entscheidet etwa die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, wie viel Empathie man für jemanden empfindet. „Für Personen, die uns nahestehen, etwa aus der eigenen Familie, empfinden wir mehr“, sagt Lamm.
Empathie kann sich außerdem durch das gesellschaftliche Gesamtklima verändern – was gestern als nötig erachtet wurde, ist heute anders. Beeinflusst wird das durch Medien und Politik. Als Beispiel nennt Lamm die Flüchtlingsthematik: „Da gab es eine Phase, in der alle empathisch waren. Dann hat sich das Gesamtklima verändert und es hieß: Die sind schon arm, aber so arm auch wieder nicht.“ Wie etwas vermittelt wird und wie die Gesamtmeinung zu einem bestimmten Thema ist, beeinflusst die Gefühle, die der Mensch aufbringen kann. Dass die Gesellschaft, wie oft postuliert, immer empathieloser wird, kann Lamm nicht bestätigen: „Aus wissenschaftlicher Perspektive gibt es dafür keine Hinweise, eher gegenteilig. Die Zahl der bewaffneten Konflikte, Aggression und Gewalt haben im Lauf der Menschheitsgeschichte eher abgenommen. Was sich geändert hat ist, dass wir jeden Konflikt, den es irgendwo gibt, medial vermittelt bekommen. Es handelt sich also eher um eine subjektive Wahrnehmung, dass die Empathiefähigkeit immer mehr abnimmt und es immer mehr Gewalt gibt.“
Und was ist mit der oft zitierten „Empathielosigkeit“, von Tätern? In Bezug auf den Mordfall in Döbling sagt Lamm: „Ob das jetzt zentral mit Empathie zu tun hat, bezweifle ich. Da sind wahrscheinlich andere Mechanismen im Spiel, da fehlen die Informationen, um das zu beurteilen.“ Aus seiner Sicht würde man mit der Charakterisierung des mutmaßlichen Täters „empathielos“ etwas erklären wollen, das vielen als unverständlich erscheint: „Es ist vermutlich nicht so, dieser Mensch hatte sicherlich auch Phasen der Empathie in seinem Leben. Bei der Tat hat diese aber wohl zumindest vorübergehend ausgesetzt.“
Psychopathen
Es ist bekannt, dass selbst Psychopathen nicht ohne Mitgefühl sind. Hirnscanner-Untersuchungen eines Teams rund um den Empathieforscher Christian Keysers, Uni Groningen, zeigten, dass die Empathiefähigkeit bei solchen Menschen zwar geringer ausgeprägt ist, aber nicht fehlt. Viel eher dürften Psychopathen über die Fähigkeit verfügen, ihre Empathie ein- oder auszuschalten. Sie benützen sie etwa, um zu manipulieren.
In Deutschland wehrt sich der bekannte forensische Psychiater Hans-Ludwig Kröber vehement gegen den „therapeutischen Fetisch“ namens Empathiemangel. Für ihn würde der Begriff inflationär und falsch eingesetzt. „Dass Straftaten nicht empathisch sind, ist banal, wird aber, seit es Gerichtsreporter gibt, stets empört wiederholt“, sagt er. Für ihn ist Empathiemangel ein bequemer Befund, um Kriminalfälle zu erklären. Auch er betont, dass Täter meist gar nicht an einem Mangel an psychologischem Einfühlungsvermögen leiden, sondern Empathie vielmehr instrumentalisieren würden, um zu manipulieren.
Soll Empathie in der Schule unterrichtet werden?
„Empathie ist kein Unterrichtsfach“, sagte die forensische Psychiaterin Adelheid Kastner am Dienstag in der ZIB 2. Spielt die Förderung sozialer Kompetenzen an österreichischen Schulen keine Rolle? Der KURIER sprach mit Brigitte Schröder – sie leitet das „Österreichische Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen“. Dieses Bundeszentrum hat zum Ziel, Persönlichkeitsstärkung und soziales Lernen bundesweit an österreichischen Schulen zu verankern.
KURIER: Eines Ihrer Leitsätze heißt: „Wer Bildung will, muss Beziehung schaffen“. Wie sehr werden soziale und emotionale Kompetenzen, wie etwa die Fähigkeit zu Empathie an Schulen gefördert?
Brigitte Schröder: Wenn wir von Empathie sprechen, geht es um emotionale, soziale Kompetenzen. Das ist ein Bereich, den man unter die Förderung von Selbstkompetenz und Sozialkompetenz zusammenfasst. Diese überfachlichen Kompetenzen sind gesetzlich im österreichischen Bildungswesen verankert. Viele Pädagogen setzen das bereits um, andere ignorieren es derzeit noch, weil sie sich vermehrt auf fachliche Kompetenzen konzentrieren.
Wäre ein eigenes Fach nicht sinnvoll, es muss ja nicht „Empathie“ heißen?
Der Vorteil eines eigenen Faches liegt im primären Fokus auf überfachliche Kompetenzen – die Gefahr liegt darin, wieder beim Fachdenken zu enden. Man kann im eigenen Fach unterrichten wie bisher, für die Vermittlung von Selbst- und Sozialkompetenz ist ein anderer zuständig. Zur Stärkung dieser Kompetenzen gibt es bereits seit einiger Zeit entsprechende Fächer. „Soziales Lernen“ können Schulen im Rahmen ihres autonomen Stundenkontingents umsetzen. Etwa die Hälfte der Schulen setzt das in der Sekundarstufe 1 um. In berufsbildenden mittleren und höheren Schulen gibt es ein Pflichtfach.
Braucht es mehr Bewusstsein?
Viele Menschen im Bildungsbereich arbeiten an der Förderung von sozialen/emotionalen Kompetenzen. Das gelingt mal besser, mal weniger gut – das liegt in der Natur der Sache. Derzeit arbeiten wir im Auftrag des Bildungsministeriums an einer nationalen Strategie für schulische Gewaltprävention. Auch hier steht die Förderung von personalen, sozialen und emotionalen Kompetenzen im Mittelpunkt. Das ist keine anlassbezogene Maßnahme, sondern zeigt, dass Bildungsverantwortlichen bewusst ist, dass es im Bereich Gewaltprävention einer gemeinsamen Anstrengung bedarf, um mehr Menschen für dieses Themenfeld zu sensibilisieren. Ich bin überzeugt, dass Empathie erlernbar ist. Dazu muss man Kindern und Jugendlichen Lernmöglichkeiten einräumen – und zwar altersgemäß über die Jahre des Verweilens an unseren Schulen. Daher sind diese Maßnahmen so wichtig.
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