Warum wir immer weniger schlafen

"Es gibt ganz eindeutig eine Tendenz, weniger zu schlafen", so eine Schlafmedizinerin.
Schlaflose Gesellschaft: Experten warnen vor den gesundheitlichen Folgen.

"Schlaflosigkeit ist eine globale Epidemie geworden, und der Schlaf wird in unserer 24-Stunden/-7-Tage-Welt ein immer kostbareres Gut." Klare Worte findet die Psychologin und Psychotherapeutin Brigitte Holzinger vom Wiener Institut für Bewusstseins- und Traumforschung zum Weltschlaftag am 18. März.

Daten einer Studie im Auftrag der deutschen Krankenkasse Knappschaft – veröffentlicht von Welt am Sonntag – bestätigen ihren Befund: Bereits jeder dritte Erwachsene schläft zu wenig (weniger als sieben Stunden). 53 Prozent fühlen sich nach dem Aufwachen nicht erholt.

Befindlichkeit der Gesellschaft

"Ich halte diese deutschen Zahlen für sehr realitätsnah", sagt Holzinger. "Das Schlafverhalten ist ja auch ein Seismograf für die kulturelle und soziale Befindlichkeit einer Gesellschaft. Und wir sind auf dem Weg zu einer schlaflosen Gesellschaft."

"Es gibt ganz eindeutig eine Tendenz, weniger zu schlafen", sagt auch Univ.-Doz. Gerda Saletu-Zyhlarz, Leiterin des Schlaflabors der Uni-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien. "Schlafen ist nicht schick. Wer bei einer Einladung sagt, ,ich komme nicht mit, weil ich schlafen will‘, ist nicht sehr angesehen."

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Von Klein auf

Die Grundlage zur schlaflosen Gesellschaft wird im Kindes- und Jugendalter gelegt. "TV, Mobiltelefone, Laptops, Tablets, Spielekonsolen – die Zeiten summieren sich", sagt Mediziner Werner Sauseng vom Amt für Jugend und Familie der Stadt Graz. Eine US-Studie unter Acht- bis Zehnjährigen hat gezeigt: Sie sitzen im Schnitt täglich 3,5 Stunden vor dem Fernseher, eine Stunde vor dem Computer und eine Stunde vor Spielekonsolen. Eine belgische Studie unter 13- bis 15-Jährigen ergab: Nur 38 Prozent verwenden nach dem Lichtausschalten nie das Mobiltelefon. "Sind Kinder vor dem Schlafengehen vor einem Bildschirm, ist die Schlafqualität aber besonders schlecht."

Empfehlungen

Kinder unter zwei Jahren sollten gar keine Zeit vor Bildschirmen verbringen, "auch nicht mitschauen oder zuhören", sagt Sauseng: "Sie können noch nicht zwischen virtueller 2-D-Welt und realer 3-D-Welt unterscheiden."

Für Kleinkinder über zwei Jahre bis ins Vorschulalter sollte die tägliche Bildschirmzeit höchstens 30 Minuten pro Tag betragen. "Für ältere Kinder kann diese Zeitspanne schrittweise erhöht werden, sollte aber auch im Jugendalter zwei Stunden pro Tag nicht überschreiten."

Für Aufsehen sorgte 2015 eine US-Studie, wonach auch Naturvölker nur sechs bis sieben Stunden schlafen. "Der Unterschied zu unserem Leben ist nur, dass durch die heutige Arbeitsverdichtung immer weniger Zeit für Ruhepausen zwischendurch bleibt", sagt Schlafforscher Gerhard Klösch von der Uni-Klinik für Neurologie der MedUni Wien. "Unser Gehirn muss heute in kürzester Zeit Höchstleistungen erbringen – deshalb braucht es umso mehr ausreichende Ruhephasen. Als Faustregel kann man deshalb sagen, dass der Erholungswert bei einer Schlafdauer von unter sieben Stunden zu gering ist."

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Man using his mobile phone in the bed Urheberrecht: Minerva Studio Stock-Fotografie-ID:55578508
Arbeitszeiten

Arbeit und Freizeit seien die "modernen Schlafkiller", so Klösch. Einerseits werden Arbeitszeiten immer mehr in die Nacht verlagert – etwa bei Freiberuflern, andererseits "tragen die verlockenden Angebote der Freizeitindustrie dazu bei, dass kürzer geschlafen wird". Fazit: "Wir gehen immer später zu Bett, aber die Arbeitsbeginnzeiten haben sich seit 150 Jahren nicht geändert."

Bei einer Schlafstörung – 97 sind klassifiziert – ist optimalerweise eine Nacht im Schlaflabor Voraussetzung für eine genaue Diagnose und gezielte Therapie.

Schlafcoaching-Workshop

Vielen hilft auch ein zweitägiger Schlafcoaching-Workshop, wie jetzt eine erste kleine Studie belegt: Auch noch sechs Monate danach war die Schlafqualität der zwanzig Teilnehmer deutlich besser. www.schlafmedizin.at www.schlafcoaching.org

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