Warum die Mandeln nicht immer raus müssen

Die vollständige Entfernung der Mandel birgt das Risiko von Nachblutungen
Seit fünf Todesfällen vor zehn Jahren sank bei Kleinkindern die OP-Rate um 87 Prozent.

Es war eine alarmierende Situation vor zehn Jahren: Fünf Kinder unter sechs Jahren starben 2006 und 2007 nach Mandeloperationen – und zwar nach einer vollständigen Entfernung der Gaumenmandeln. Die gefährlichen Nachblutungen waren zu spät erkannt worden.

Als Konsequenz wurden damals von den ärztlichen Fachgesellschaften (HNO-Ärzte, Kinder- und Jugendärzte) neue Empfehlungen ausgegeben. Etwa, dass ein Kind in einem Jahr mindestens sieben bakterielle Mandelentzündungen durchgemacht haben muss, ehe sie vollständig entfernt werden.

Lesen Sie bitte unterhalb der Infografik weiter

Warum die Mandeln nicht immer raus müssen

Jetzt zog die Fachgesellschaft der HNO-Ärzte Bilanz: Um 62 Prozent (alle Altersgruppen) ist von 2002 bis 2014 die Häufigkeit von Mandeloperationen in Österreich zurückgegangen. Bei Kindern bis fünf Jahre sogar um 87 Prozent. Und, das Wichtigste: Es gab seither keine Todesfälle mehr durch Nachblutungen.

In seltenen Fällen kommt es durch eine Abstoßung der Wundbeläge oder ein Aufplatzen von Gefäßen zu diesen Nachblutungen. Durch den Blutverlust oder die Verlegung der Atemwege kann eine lebensbedrohliche Situation entstehen – besonders bei jungen Patienten. Dies gilt nur für die Gaumenmandeln – bei den Rachenmandeln (Adenoide) besteht kaum ein Risiko.

Zurückhaltender

"Seit den Todesfällen ist man mit der kompletten Ausschälung der Mandeln viel zurückhaltender geworden", sagt Wilhelm Streinzer, HNO-Facharzt und HNO-Bundesfachgruppenobmann der Österreichischen Ärztekammer. "Stattdessen wird die Verkleinerung bevorzugt." Die Nachblutungsrate ist dabei deutlich geringer. "Vor 30 Jahren sind die Eltern mit gesunden Kindern vor dem Schuleintritt zu den HNO-Ärzten gekommen, um vorbeugend die Mandeln zu entfernen", sagt Streinzer. "Und heute verstehen manche Eltern nicht, warum nicht früher operiert wird, sondern davor eine gewisse Häufigkeit an bakteriellen Entzündungen aufgetreten sein muss. Davon sind viele nicht begeistert, weil sie damit öfter auf ein krankes Kind schauen müssen." Und es muss der Einsatz von Antibiotika weitgehend wirkungslos gewesen sein.

Theoretisch könnte es sein, dass durch die Verkleinerung der Mandeln zwar im Kindesalter die Entzündungshäufigkeit stark zurückgeht – diese dann aber im Erwachsenenalter ansteigt. Streinzer: "Bis jetzt sehen wir das aber nicht."

Bei Erwachsenen ist das Risiko einer Nachblutung deutlich höher – aber aufgrund der größeren Blutmenge sind sie viel weniger stark gefährdet. "Kleine Kinder können ja auch eine Blutung nicht beschreiben, sagen oft nicht, dass sie etwas Warmes im Mund spüren. Aber dadurch geht wertvolle Zeit verloren. Und sie schlucken dann das Blut so lange, bis sie es erbrechen."

Verhalten bei Blutung

Sollte es zu einer Blutung kommen, muss das Kind sofort so gelagert werden, dass das Blut ausgespuckt bzw. ausgehustet werden kann.

Die Atemwege sind freizuhalten, eventuelle nicht fixe Zahnspangen zu entfernen.

Kühlende Umschläge im Nacken.

Nichts zu essen und zu trinken geben.

"Die Eltern müssen sofort die Rettung – Telefon 144 – verständigen", betont Streinzer. Auch wenn die Blutung scheinbar nachlässt, ist eine stationäre Überwachung in einem Krankenhaus möglichst mit HNO- bzw. Kinder- und Jugend-Abteilung notwendig. Nur im Ausnahmefall, wenn ein Rettungswagen nicht verfügbar ist, soll der Transport mit dem eigenen Auto durchgeführt werden.

Rund 1000 Menschen in Österreich und Deutschland erkranken jährlich an einer beidseitigen Lähmung der Stimmlippen (Stimmbänder). Dabei ist die Nervenleitung im Kehlkopf teilweise oder vollständig unterbrochen – die Stimmlippen verbleiben in einer ungünstigen Stellung und verengen die Atemwege.

Eine österreichisch-deutsche Forschungsgruppe (HNO-Uni-Kliniken Innsbruck, Würzburg und Klinikum Gera) entwickelte nun gemeinsam mit dem österreichischen Hörimplantathersteller Med-El einen Kehlkopfschrittmacher. Das Implantat wird am Brustbein unter die Haut implantiert und stimuliert über spezielle Elektroden die Kehlkopfnerven. So öffnen sich über die zugehörigen Muskeln eine oder beide Stimmlippen. Das Ein- und Ausatmen soll dadurch verbessert, die Lebensqualität erhöht werden. Eine erste Studie konnte jetzt abgeschlossen werden. Dabei wurden die Sicherheit des Schrittmachers und dessen Wirksamkeit nachgewiesen.

Kommentare