"Viele essen quasi auf Autopilot"

Das große Angebot macht Neinsagen schwer. Diskussion um Maissirup.

Nur fünf bis zehn Minuten benötigt die Ärztin Rosa Aspalter, medizinische Leiterin der Internet-Abnehmplattform kilocoach.at, von ihrer Wohnung ins Büro – ein Teil des Weges führt über die Innere Mariahilfer Straße in Wien. 28-mal erhält sie dabei Anregungen zum Essen: Von einem schon vormittags geöffneten Bierlokal über mehrere Bäckereien, Fast-Food-Anbieter, Supermärkte bis zu einer Pizzeria. „Das bedeutet 28-mal NEIN zu sagen, den Verlockungen zu widerstehen. Das Bedarf eines starken Willens.“ Experten sprechen vom „adipogenen Umfeld“ – einer Umwelt, die die Entstehung von Übergewicht begünstigt.

"Viele essen quasi auf Autopilot"
Neue Studien bestätigen jetzt, dass Überangebot tatsächlich die täglich zugeführte Energiemenge erhöht. Thomas Ellrott, Institut für Ernährungspsychologie, Uni Göttingen: „Im Handel gibt es mehr als 200.000 verschiedene Lebensmittel. Buffetexperimente haben gezeigt, dass umso mehr konsumiert wird, je vielfältiger die Speisenauswahl ist.“

Augen auf, Mund zu

Aspalter: „Viele Menschen essen unbewusst, quasi auf Autopilot. Aber über ein Jahr führt ein tägliches Zu viel von nur 200 Kalorien – ein Croissant hat 356 – zu einer Gewichtszunahme von beachtlichen zehn Kilogramm.“ Als Gegenstrategie helfe es schon viel, sich das bewusst zu machen: „Mein Motto ist: Augen auf, Mund zu.“

„Zu Beginn der 80er-Jahre ist es uns ja auch schon gut gegangen: Damals waren aber nur sieben Prozent der schulpflichtigen Kinder übergewichtig, jetzt sind es 25“, sagt der Mediziner Gerald Gartlehner, Leiter des Departments für Evidenzbasierte Medizin der Donau-Uni Krems. „Was hat sich seither verändert?“ Gartlehner und NÖ-Landeshauptmann-Stellvertreter Wolfgang Sobotka sind Initiatoren eines Kongresses (EUFEP) zum Thema Adipositasprävention im Juni in Krems, wo das diskutiert wird.

Gartlehner: „Namhafte Forscher führen die Zunahme von Übergewicht und Diabetes auf den stark steigenden Einsatz von Maissirup in vielen Lebensmitteln zurück.“ So habe die Verwendung in den USA zwischen 1970 und 1990 um mehr als 1000 Prozent zugenommen. Bei Maissirup mit hohem Fruktose-Gehalt besteht der Zucker nicht mehrheitlich aus Glukose, sondern aus Fruktose. „Aber diese führt im Gegensatz zur Glukose zu keinem Anstieg von Insulin und Leptin – zwei Hormone, die den Appetit reduzieren. Und die Fruktose wird von der Leber auch schneller in Fett umgewandelt.“

Gleichzeitig wird aber auch die Sicht auf das Körpergewicht differenzierter, sagt Gartlehner. So werde die Gewichtsklassifikation der Weltgesundheitsorganisation (Übergewicht ab einem Body-Mass-Index von 25) immer mehr Frage gestellt: „Einige Studien zeigen, dass Menschen mit einem BMI zwischen 25 und 29 die höchste Lebenserwartung haben – und dass fitte Übergewichtige bessere Blutwerte haben als Normalgewichtige.“ Ein Freibrief für unbegrenzte Kalorienaufnahme ist das nicht. Gartlehner: „Es zeigt nur, dass wir vieles noch nicht wissen.“ Sobotka: „Übergewicht und Fettleibigkeit zählen weltweit zu den größten gesundheitlichen Herausforderungen dieses Jahrhunderts.“

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