Teure Folgen der Alkoholkrankheit
350.000 Österreicher sind alkoholabhängig. Über die wirtschaftlichen Folgen gab es bisher keine Daten, sagt der Mediziner und Volkswirt Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien. Jetzt hat das IHS diese erstmals berechnet: Medizinische Kosten, Sozialleistungen und die Ausfälle am Arbeitsplatz verursachen eine jährliche Belastung von fast 740 Millionen Euro – Einnahmen durch die Alkoholsteuer schon abgezogen.
Czypionka: „Österreich steht beim Alkoholkonsum unter den OECD-Ländern an dritter Stelle. Die Schäden für das Gesundheits- und Sozialwesen sind beträchtlich. Wir haben in Österreich generell einen zu lockeren Umgang mit dem Thema Alkohol und wenig Beschränkungen.“
„Es wäre an der Zeit, die Ärmel aufzukrempeln und mehr zu tun“, sagte der Psychiater Michael Musalek, Leiter des Anton Proksch Instituts (API) in Wien, Donnerstag bei der Studienpräsentation. „In Österreich ist es besonders leicht, Alkohol zu bekommen – und wer viel verträgt, ist teilweise hoch angesehen. Dabei ist dies das erste Zeichen einer Entwicklung hin zur Abhängigkeit.“
Alkoholkonsum werde in Österreich bagatellisiert. „Aber ab dem Zeitpunkt, wenn jemand Probleme hat und Hilfe benötigt, wird er dramatisiert“, kritisiert Musalek. „Entweder wird Alkohol verherrlicht – oder verdammt.“
Spät erkannt
Häufig werde ein problematischer Konsum erst viel zu spät erkannt: „Wir sind in der Diagnostik der Alkoholkrankheit heute dort, wo wir in der Brustkrebsdiagnostik vor 40 Jahren waren – wo man erst operiert hat, wenn der Tumor bereits sehr groß war.“
Bei 70 bis 80 Prozent der Betroffenen könne eine „Symptomfreiheit“ – eine Abstinenz über längere Zeit – erreicht werden, wenn sie in Behandlung bleiben. Nachholbedarf gebe es vor allem bei Rehabilitations- und Reintegrationsangeboten. So seien alkoholkranke Menschen „aus der Rehabilitation für psychisch Kranke noch immer ausgeschlossen“. Und es sei „ein unerträglicher Zustand, dass Zusatzversicherungen nichts bei Alkoholkrankheit zahlen“, so Musalek.
Die tatsächlichen Kosten durch Alkoholmissbrauch seien noch weit höher als die in der Studie angegebenen, betont der Psychiater. So hat das IHS berechnet, dass jährlich knapp 50 Kinder geboren werden, die durch Alkoholkonsum der Mutter in der Schwangerschaft bleibende Schäden davontragen.
Trink, Brüderlein, trink! Schätzungsweise 5 % der Bevölkerung sind alkoholabhängig, gut 12 % haben einen problematischen Alkoholkonsum.
Doch der fließende Übergang von Folklore zu Volkskrankheit wird unverdrossen verharmlost, ja geradezu verzärtelt. Am liebsten im Witz. Worüber lacht Österreich? Was rührt Österreich – meist zu hochprozentigen Tränen? Das Saufen und seine Folgen. Darüber singt man, darüber scherzt man – und darüber verliert man viele Worte, nur ja kein ernstes. In einem Land, in dem das Reichen vergorener Getränke gemeinhin die Grußformel ersetzt, fanden Freud (und Ringel) die österreichische Seele naturgemäß nächst der Leber. Ihre hochprozentige Analyse: „Das Über-Ich ist alkohollöslich.“
Also: So, wie wir gern wären, sind wir im Dreiviertel-Takt. Wahlweise trocken, resch, lieblich oder spritzig.Die Reblaus entpuppt sich als Wappentier, das Tröpferl, Glaserl oder Schluckerl, das wir „eh nur“ zu uns nahmen, letztlich – quasi automatisch – als Doppler. Wer nicht mithält, gilt als Spielverderber, Spinner und Spaßbremse. In Europa sind wir Spitze beim Spitzerl: Auch Ungarn und Tschechen „tschechern“ ähnlich maß- und gnadenlos, beide nicht von ungefähr altösterreichische „Verwandte“. „Es hat keinen Sinn, Sorgen in Alkohol ertränken zu wollen, denn Sorgen sind gute Schwimmer“, sagte Robert Musil (1880–1942). „Alkohol konserviert alles – ausgenommen Würde und Geheimnisse“, wusste Robert Lembke (1913–1989). Doch was zählen klare Gedanken gegen klare Schnäpse? Noch dazu, wenn uns Idole „reinen Wein“ einschenken. „Man muss dem Leben um einen Whisky voraus sein“, ermuntert Humphrey Bogart (1899–1957) Unentschlossene, die sich das Trinken am Ende abgewöhnen wollten, aber „noch schwanken“. „Ein intelligenter Mann ist oft gezwungen, sich zu betrinken, um Zeit mit Narren zu verbringen“, klagte Ernest Hemingway (1899–1961). Essenz: „Alkohol ist keine Antwort – aber man vergisst beim Trinken die Frage.“
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