Wenn sich seelisches Leid auf den Körper schlägt

Psychosomatische Leiden gehen immer auch durch den Kopf
Bauchkrampf, Herzrasen, Kopfschmerz, Schlafstörung: Ein neues Institut in Wien will die Ursachen erforschen.
Von Uwe Mauch

Er war sein ganzes Berufsleben lang Mitarbeiter eines namhaften Konzerns. Er war immer loyal, hat oft bis zum Umfallen gearbeitet, weshalb man ihn in der Österreich-Niederlassung im Süden von Wien bis in die Vorstandsetage befördert hat. Es gab aus seiner Sicht nur einen einzigen Karriereknick. Der folgte ganz am Ende, als ihn ein jüngerer Nebenbuhler gegen seinen Willen in die Frühpension weglobte.

Im März dieses Jahres wurde er, der immer ein Vorbild in seinem Fußballverein war, auch weil er durchaus gesund lebte, feierlich verabschiedet. Im August war er tot – einem aggressiven Krebs erlegen.

Seine Frau und seine Freunde vermuten, dass er die ultimative Kränkung nicht verarbeiten konnte. Und bekommen jetzt Zustimmung von honorigen Universitätsprofessoren, die am Mittwoch das neu gegründete Institut für Psychosomatik an der Sigmund-Freud-Universität vorstellten.

"Wir beschäftigen uns auch mit Phänomenen der Psycho-Immunologie", erklärt Alfred Pritz, erfahrener Psychotherapeut und Rektor der Privatuniversität im Wiener Prater. Und sein Professoren-Kollege Heinrich Resch wird konkreter: "Die Psyche kann das Immunsystem schädigen." Nicht nur das Immunsystem, wie am neuen Institut nachgewiesen werden soll.

Keine "Tachinierer"

In Österreich nehmen rund 900.000 Menschen aufgrund von seelischen Leiden eine medizinische Leistung in Anspruch. Dies geht aus einem Bericht des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger hervor. Psychosomatische Störungen sind längst ein Massenphänomen, eine Volkskrankheit: "Jeder Dritte läuft Gefahr, zumindest ein Mal im Leben psychisch krank zu werden", sagt Christiane Eichenberg, die das neue Institut für Psychosomatik leitet.

Zwar werden die an der Seele Erkrankten von ihren Krankenkassen nicht mehr als "Tachinierer" hingestellt, wie sich ältere Psychotherapeuten an ihre ersten Erlebnisse in Österreich erinnern, dennoch ließe die medizinische Versorgung noch immer zu wünschen übrig: "Die Ausgaben für Psychopharmaka betragen jährlich 250 Millionen Euro, aber nur 70 Millionen Euro werden für Psychotherapie und klinisch-psychologische Diagnostik ausgegeben." Und obwohl immer mehr Menschen unter dem zunehmenden Druck in der Arbeitswelt stöhnen, weiß die Expertin: "Nur zwei Prozent der Erwerbstätigen nehmen eine Psychotherapie in Anspruch."

An ihrem Institut soll in Zukunft gemeinsam mit medizinischen Fakultäten wertvolle Grundlagenforschung betrieben werden. Nach der alten Erkenntnis, dass die Seele darunter leidet, wenn der Körper leidet, und der Körper darunter leidet, wenn die Seele leidet, sollen ganz konkrete Wechselwirkungen zwischen psychischen Störungen und Herz- bzw. Knochenkrankheiten nachgewiesen werden.

Gebrochene Herzen

Kurt Huber, Leiter der kardiologischen Abteilung des Wilhelminenspitals, berichtet aus seiner täglichen Arbeit: "Bei fünf Prozent aller Patienten, die mit Symptomen eines Herzinfarkts eingeliefert werden, diagnostizieren wir Tako Tsubo. Die Symptome gleichen jenen des Herzinfarktes und treten meist unmittelbar nach einer extremen emotionalen oder körperlichen Belastung auf. Die Extremsituation löst kurzfristig Krämpfe in den Herzkranzgefäßen aus und stört vorübergehend die notwendige Durchblutung des Herzmuskels."

Meist ist der Anlass für einen Tako Tsubo negativ, deswegen sprechen die Mediziner vom sogenannten Broken-Heart-Syndrom. Professor Huber kann allerdings auch von Fällen berichten, als ein außergewöhnliches Glücksgefühl einen Herzinfarkt ausgelöst hat. Er rät daher – mit einem Augenzwinkern – zur Vorsicht: "Zum Beispiel beim nächsten Lotto-Gewinn."

Gebrochene Knochen

Heinrich Resch, der das Rheumazentrum in Oberlaa leitet, will sich wiederum mit den Wechselwirkungen von psychischen Störungen und dem Stoffwechsel der Knochen auseinandersetzen: "Wir wissen erst seit gut einem Jahr, dass der Knochen wie eine Drüse wirkt und daher auch Hormone produziert. Insofern interessiert uns, inwieweit sich die Psychosomatik auf die Knochen auswirkt und auch umgekehrt." Rein theoretisch und im realen Leben eher selten kann auch ein gut trainierter Marathonläufer, dem gerade etwas Grobes über die Leber läuft, ernste Probleme mit seinen Knochen bekommen. Forscher Resch erklärt: "Psychostimuli können den Knochen ausdünnen." Weltweit gäbe es dazu jedoch nur wenige konkrete Erfahrungen.

Wahrscheinlicher ist, dass eine überraschend negative und daher besorgniserregende Diagnose (zum Beispiel Krebs oder eine bevorstehende schwere Operation) vom Körper zurück auf die Psyche wirkt, wie Rektor Alfred Pritz ins Treffen führt.

Wird man das kollektive Leiden, das den Patienten aufgrund der körperlich-seelischen Wechselwirkungen durch den Kopf geht, je in den Griff bekommen? Pritz verspricht in jedem Fall, dass an seiner Universität nun mit Nachdruck geforscht wird. Und er möchte schon in einem Jahr erste konkrete Ergebnisse präsentieren.

Vom Magengeschwür bis zum Bluthochdruck

Christiane Eichenberg, Leiterin des neuen Instituts für Psychosomatik, spricht von psychosomatischen Störungen, „wenn psychische und biologische Prozesse zusammenwirken, auch auf den Krankheitsverlauf“. Zu den Störungen zählt sie u. a. Magengeschwüre, Reizdarm, chronische entzündliche Darmerkrankungen, Schlafstörungen und Bluthochdruck.

Die meisten Betroffenen nehmen Medikamente

In Österreich nehmen deshalb jährlich 900.000 Menschen eine Leistung der Krankenversicherung in Anspruch. Für immerhin 840.000 Betroffene verschreiben die Ärzte Psychopharmaka.

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