Postpartale Depression: Das versteckte Leiden
Es ist einer der intensivsten Lebenabschnitte für Frauen: die Zeit der Schwangerschaft und das erste Lebensjahr des Kindes. Trotz neuen, oft erschöpfenden Aufgaben sind die meisten Frauen dennoch glücklich über ihr Baby und die neue Mutterrolle. Aber Schlafmangel, Überforderung und finanzielle Sorgen können auch zu Depressionen oder Angsterkrankungen führen – oft auch schon während der Schwangerschaft. Laut internationalen Studien sind bis zu 15 Prozent aller Frauen davon betroffen, allgegenwärtig ist das Thema dennoch bei weitem nicht.
Warum denken Sie, ist die
postpartale Depression noch so ein Tabuthema?
Claudia Reiner-Lawugger: Es ist schon besser geworden, aber nach wie vor ist das Thema noch mit Scham besetzt. Es gibt immer wieder Frauen, die zwar merken, dass es ihnen nicht gut geht, sich aber trotzdem nicht trauen, mit jemandem darüber zu reden. Weil es nach außen eben nicht super ist, wenn man nicht so eine glückliche Mutter ist, wie man sein sollte.
Ist der Druck der Gesellschaft der Grund oder das eigene schlechte Gewissen?
Eine Kombination. Die heutigen Mütter machen sich selbst wahnsinnig viel Druck, mehr als gesellschaftlich notwendig wäre. Ich habe das Gefühl, dass die heutigen Mütter konservativer sind als die Mütter vor 20 Jahren. Sie haben einen ganz hohen Anspruch an sich und entwickeln einen Perfektionismus und Leistungsanspruch, den sie dann selber nicht einhalten können.
Inwiefern tragen die vielen Ratgeber für Mütter eine Teilschuld daran?
Wir haben andere gesellschaftliche Rahmenbedingungen als noch in den 50er-Jahren. Damals gab es viel mehr Großfamilien. Jetzt haben wir seit mehreren Generationen Ein- bis Zwei-Kind-Familien, die sehr isoliert leben. Wir haben Frauen, die mit 15 schwanger sind und welche mit 50 – das geht immer mehr auseinander. Dass man als Frau das Kind in einer Zeit bekommt, wo die Freundinnen auch Kinder bekommen, das gibt es so nicht mehr. Über bleiben oft Mütter, die mit ihren Babys den ganzen Tag alleine und einsam sind. Die Erfahrungen mit Babys fehlt den Müttern auch oft. Deswegen werden heute zuhauf Ratgeber gekauft, die teilweise unterschiedliche Informationen beinhalten und nur zum Teil zur Sicherheit beitragen.
Würden Sie sagen, dass der Hang zum Perfektionismus eine der Hauptursachen einer postpartalen Depression ist?
Für eine bestimmte Gruppe ja. Psychiatrisch gesehen haben wir schwere depressive Erkrankungen und Anpassungsstörungen, die sich aufgrund von bestimmten Rahmenbedingungen entwickeln, ein Großteil der postpartalen Depressionen gehört zu den Anpassungsstörung. Und da spielt die gesellschaftliche Komponente eine große Rolle.
Was sind die häufigsten Symptome einer postpartalen Depression?
Schlafstörungen, Lustlosigkeit , kombiniert mit Ängsten und Versagensgefühlen und eine Erschöpfung, die einen hindert, Freude zu empfinden. Man sieht zwar das Kind, kann aber oft keine Gefühle mehr zu ihm entwickeln.
Was sind die Unterschiede zum Babyblues?
Direkt nach der Geburt tritt eine postpartale Depression selten auf. Wenn es zu diesem Zeitpunkt schwere Probleme gibt, haben die meistens schon in der Schwangerschaft begonnen. Der Baby Blues kommt allerdings nach der Geburt sehr häufig vor, circa 50 Prozent der Frauen sind betroffen, das hat auch viel mit der hormonellen Veränderung zu tun. Meistens ist es ein Zustand hoher Sensibilität. Da ist man gerührt über alles, was einem irgendwie emotional entgegenkommt – positiv wie negativ. Ein bisschen ein Zuviel an Emotionalität.
Können auch Väter von einer postpartalen Depression betroffen sein?
Die veränderte Lebenssituation mit dem Baby betrifft ja auch die Väter. Schlaflosigkeit, Verantwortung für das Kind, finanzielle Probleme und eine Partnerin, die sehr mit der Versorgung des Kindes beschäftigt ist. Das ist alles anstrengend und ein Schreibaby kann die Situation gänzlich kippen. Also auch Väter sind belastet. Aber sie melden sich derzeit nicht.
Wie gehen Sie in der Therapie dann vor?
Einerseits muss man schauen, ob es mit ganz banalen soziotherapeutische Maßnahmen geht. Es gibt Frauen, die nach der Geburt sehr streng zu sich selbst werden und sich viele Sachen nicht mehr erlauben. Ich höre oft: „Mein Leben ist verloren gegangen. Ich hatte ein Leben vor der Geburt und eines nach der Geburt.“ Es ist wichtig, ihnen zu zeigen, dass es die Möglichkeit gibt, das alte Leben zum Teil in das neue zu integrieren und sich nicht alles verbieten zu müssen. Bei leichten depressiven Störungen ist es ausreichend, solche Interventionen zu setzen, also sie zu ermutigen, Sport zu machen, sich mit Freundinnen zu treffen, etc. Psychotherapie ist sehr häufig sinnvoll, um sich mit den inneren Mutterbildern auseinanderzusetzen.
Bei welchen Symptomen würden Sie raten, professionelle Hilfe aufzusuchen?
Wenn ich konsequent nicht schlafen kann, mich nicht mehr konzentrieren kann, mehrfach in der Woche weinen muss. Wenn keine Freude mehr da ist und die Beziehung zum Kind deutlich schlechter wird.
Welche Auswirkungen hat die Depression auf die Gesundheit des Babys?
Depressionen in der Schwangerschaft sind immer mit erhöhtem Stress kombiniert und das ist für das Ungeborene nicht gut. Auch nach der Geburt, wenn Mütter aufgrund ihrer Erkrankung immer weniger Kontakt zum Kind haben, ist das für das Kind eine belastende Situation mit erhöhtem Stress.
Welche Unterstützung können der Partner und das familiäre Umfeld geben? Die Depression wahrzunehmen und offen darüber zu reden, bildet die Basis. Dass man wirklich wachsam ist zu beobachten, ob es dem Partner wirklich gut geht und dass man mehr unterstützende Maßnahmen setzt. Diese Aufmerksamkeit sollte im ganzen ersten Lebensjahr stattfinden und nicht nur im Wochenbett. Das Schlechteste ist zu sagen: Reiß dich zusammen.
Wie sind die Chancen, von dieser Depression wegzukommen?
Sehr gut! Es ist sehr sinnvoll, sich rasch in eine Therapie zu begeben, weil die Erfolgsaussichten auch wirklich sehr hoch sind. Leider ist vor allem die spezialisierte psychiatrische Versorgung noch nicht ausreichend entwickelt.In Wien haben wir eine Spezialambulanz, aber bei der stationären Versorgung ist viel Luft nach oben. Und am Land ist es überhaupt schwierig. Da gibt es noch viel zu tun in der flächendeckenden Versorgung.
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