Parkinson: "In 15 bis 20 Jahren gut kontrollierbar“

Die Patientenzahlen steigen, die Behandlungsmöglichkeiten haben sich aber deutlich verbessert.

Es war eine Sensation: 1961 präsentierten die Österreicher Oleh Hornykiewicz und Walter Birkmayer in Wien die erste effektive Parkinson-Therapie: Den Ersatz des körpereigenen Botenstoffes Dopamin mit der Dopamin-Vorstufe L-Dopa. „Parkinson ist die am besten behandelbare neurodegenerative (zu einem Abbau von Nervenzellen führende, Anm.) Krankheit“, erzählt Univ.-Prof. Werner Poewe, Vorstand der Klinik für Neurologie an der MedUni Innsbruck,. Die Fortschritte in der Therapie werden auch ein Thema beim Weltkongress für Neurologie sein, der im September erstmals in Österreich stattfinden wird.

KURIER: Was sagen Sie einem Patienten, wenn Sie ihm die Diagnose Parkinson mitteilen?

Werner Poewe:Dass es heute möglich ist, die Krankheit 15 bis 20 Jahre lang sehr gut zu kontrollieren – und es auch nach dieser Zeit noch gute Therapiemöglichkeiten gibt. Ob Beruf oder Familie: Durch eine individuell angepasste Therapie können wir die Lebensqualität im Alltag sehr lange erhalten. Und ich sage den Betroffenen, dass sich die Lebenserwartung von Parkinsonpatienten kaum mehr von jener der Normalbevölkerung unterscheidet.

Was hat sich an der Therapie verbessert?

Wir können mit neueren, dopaminähnlichen Substanzen den Einsatz von L-Dopa häufig zeitlich nach hinten schieben. Damit senken wir das Risiko eines frühzeitigen Auftretens von Überschussbewegungen. In den kommenden zwei Jahren wird ein Präparat auf den Markt kommen, das L-Dopa gleichmäßiger als bisher freisetzt. Dies wird die Nebenwirkungen ebenfalls reduzieren. Für einen Teil der Patienten stehen uns auch andere sehr gute Verfahren zur Verfügung: Medikamentenpumpen bzw. die Stimulation bestimmter Hirnareale mit Elektroden. Wichtig sind auch Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie: Mit guter Physiotherapie können motorische Probleme sehr lange kontrolliert werden.

Steigt die Zahl der von Parkinson betroffenen Menschen?

Die steigende Lebenserwartung wird dazu führen, dass sich bis 2030 die Zahl der Parkinson-Patienten verdreifacht (siehe Grafik).Parkinson ist nach Alzheimer die häufigste neurodegenerative Erkrankung. Sie wird zwar mit dem Alter häufiger, ist aber keine reine Alterserkrankung: 10 Prozent der Betroffenen sind unter 40. Daneben gibt aber auch noch viele andere Formen von Parkinsonismus, wo die selben Symptome auftreten, die Ursachen aber andere sind.

Welche zum Beispiel?

Es gibt verschiedene Arzneimittel, die die Dopamin-Wirkung abblocken oder reduzieren – etwa bestimmte psychiatrische Medikamente aber auch manche Präparate gegen Übelkeit und Brechreiz. Die werden oft verschrieben, ohne dass an die mögliche Dopaminnebenwirkung gedacht wird. Auch Durchblutungsstörungen des Gehirns können zu Parkinsonismus führen. Insgesamt geht man von 15 Prozent der Bevölkerung über 60 aus, die irgendeine dieser verschiedenen Parkinsonstörungen hat.

Laut der deutschen Parkinson-Vereinigung sind 30 Prozent der Parkinson-Erkrankungen unerkannt.

Das halte ich für zu hoch. Tatsächlich wird die Erkrankung im Schnitt aber erst zwei Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome von einem Neurologen diagnostiziert. Das liegt daran, dass die ersten Symptome sehr uncharakteristisch sein können.

Bei dem klassischen Ruhetremor – dem plötzlich einseitig auftretenden Zittern etwa bei Nervosität – denkt jeder an Parkinson. Bei anderen Frühsymptomen ist das nicht so: Etwa ziehende, einem Muskelkater ähnliche Schmerzen in einem Oberarm oder um die Schulter, die häufig zuerst auf Abnützungserscheinungen zurückgeführt werden. In Wirklichkeit ist die Ursache aber eine beginnende Muskelsteifigkeit. Bei vielen Kranken treten vor den klassischen Bewegungsstörungen auch ganz andere Symptome auf: Freudlosigkeit, Antriebsverlust, Verstopfung, Riechstörungen, Störungen der Traumschlafphase: Dabei lebt man die geträumten Bewegungen tatsächlich aus, was zu Verletzungen des Betroffenen und des Partners führen kann. Man muss aber auch sagen: Jemand mit Verstopfung hat zwar ein vierfach erhöhtes Parkinsonrisiko, trotzdem wird die Mehrzahl der Menschen mit chronischer Verstopfung nie an Parkinson erkranken.

Ist es sinnvoll, zum Neurologen zu gehen, wenn man solche Veränderungen bemerkt?

Auf jeden Fall, und sei es nur, um sich damit zu beruhigen. Veränderungen der Geruchswahrnehmung sollte man ebenso abklären lassen wie eine neu auftretende Apathie oder Interesselosigkeit. Denn je früher man Parkinson behandelt, umso größer sind die Erfolge.

Gibt es bei Parkinson eine Möglichkeit zur Vorsorge?

Je körperlich aktiver man ist und je mehr Bewegung man macht, umso geringer ist das Parkinsonrisiko. Auch täglich eine Tasse Kaffee hat einen Schutzeffekt.

Eine Diagnose von Parkinson mittels bildgebenden Untersuchungen des Gehirns ist aufwendig. „Nuklearmedizinische Verfahren können aufzeigen, ob die Dopamin-Freisetzung bereits zurückgeht“, erklärt Neurologe Univ.-Prof. Werner Poewe. „Aber diese setzt man nur bei ganz konkretem Verdacht ein.“ Für Personen, die z. B. aufgrund von Erkrankungen in der Familie ein erhöhtes Risiko haben, wären einfachere Verfahren zur Früherkennung interessant. Weltweit wird nach Biomarkern gesucht – etwa im Blut –, mit deren Hilfe vorhergesagt werden kann, wie hoch das Risiko tatsächlich ist. „Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn wir auch eine Therapie anbieten können, die dieses Risiko senkt – so weit sind wir noch nicht.“

An der MedUni Innsbruck wird derzeit die Aussagekraft einer Ultraschalluntersuchung des Gehirns überprüft. Bei 90 Prozent aller Parkinsonpatienten gibt es in einem bestimmten Hirnareal ein verstärktes Ultraschallsignal. Gesunde, bei denen sich ebenfalls dieses Signal zeigte, hatte über einen Zeitraum von fünf Jahren ein 19-fach erhöhtes Parkinsonrisiko.

Fachärzte

In Österreich gibt es derzeit 516 Fachärzte für Neurologie, 432 Fachärzte für Neurologie & Psychiatrie sowie 615 Fachärzte für Psychiatrie und Neurologie (bei diesen ist Psychiatrie das Hauptfach, seit ca. zehn Jahren gibt es aber keine neuen Fachärzte mit Doppelfach).

Gesellschaft

Die „Österreichische Gesellschaft für Neurologie“ (ÖGN) ist die Dachorganisation der heimischen Neurologen. Auf ihrer Homepage www.oegn.at gibt es für Patienten zahlreiche fundierte Informationen über verschiedene neurologischer Erkrankungen – von Demenz und Epilepsie über Migräne, Multiple Sklerose bis zu Parkinson und Schlaganfall. Gleichzeitig werden auch mögliche Ursachen verschiedener Symptome ausführlich erklärt – etwa Bewegungsstörungen, Gangunsicherheit, Gefühlsstörungen, Lähmung, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen oder Schwindel und Stürze.

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