Neues Krankheitsbild: Social Media Disorder

Woman using phone in bed
Typische Patienten nutzen exzessiv Social Media und sind süchtig nach Likes. Ab wann man von einer Störung spricht.

Hektisch scrollt eine Jugendliche durch ihre Whatsapp- und Instagram-Nachrichten. Sie liest kaum einen der Texte, es geht ihr nur um die Likes. Das Mädchen ist geplagt von Versagensängsten, hat wenig Selbstwertgefühl und eine Neigung zu Depressionen. Familiäre Probleme kommen hinzu. So beschreibt der Hamburger Suchtforscher Rainer Thomasius eine typische Patientin mit "Social Media Disorder".

Diese Form der Internetabhängigkeit betreffe Mädchen stärker als Buben. "Mädchen neigen eher dazu, exzessiv Social Media zu nutzen", sagt Thomasius. Burschen gerieten dafür schneller in Abhängigkeit von Computerspielen wie " Call of Duty" oder "Counter Strike". Eine Forsa-Umfrage in Deutschland im Auftrag der Krankenkasse DAK in Kooperation mit Thomasius im vergangenen Jahr ergab, dass 2,6 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen als abhängig von Sozialen Medien einzustufen sind. Betroffen sind demnach rund 100.000 Buben und Mädchen in Deutschland.

Wo die Grenze gezogen wird

Ab wann hat man eine sogenannte Internetbezogene Störung? Der Kontrollverlust sei immer das zentrale Kriterium, erklärt Thomasius. Das gesamte Denken und Verhalten verenge sich auf das Computerspielen oder die Sozialen Medien. Betroffene Jugendliche geben demnach andere Freizeitaktivitäten auf, schwänzen häufig die Schule. Sie belügen ihre Eltern über die tatsächliche Zeit, die sie im Internet verbringen. Nimmt man ihnen das Handy oder den Computer weg, haben sie Entzugserscheinungen, werden gereizt oder gar depressiv. "Diese Jugendlichen sind schon in großen Nöten", sagt Thomasius.

Im Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf machen die Mitarbeiter aber genau das mit ihren Patienten: "Wir nehmen ihnen das Wichtigste weg", sagt Thomasius, der das Zentrum leitet. Wer stationär für drei Monate oder auch nur teilstationär für zwei Wochen aufgenommen wird, muss sein Smartphone abgeben. Er erhält dafür ein nicht internet-fähiges Handy. Vormittags bemüht sich ein Team aus Sonderpädagogen, die Jugendlichen wieder an den Schulalltag heranzuführen. Nachmittags folgen die Therapieprogramme, viel Sport und Musik. Jeder Patient bekommt ein Instrument zum Musizieren.

Anders als bei Alkohol- oder Drogensucht könne das Ziel einer Therapie nicht die Abstinenz sein, sagt Thomasius. Es gebe praktisch keinen Beruf ohne PC mehr. Die Jugendlichen müssten den verantwortlichen Umgang mit dem Internet lernen. Die Heilungsquote sei mit 70 bis 80 Prozent sehr hoch. Bei Alkohol- und Drogensucht betrage die Erfolgsquote nur 30 bis 40 Prozent. Internetsüchtige Jugendliche seien leichter therapierbar, weil sie meist keine dissozialen Begleitstörungen hätten und nicht unter den Auswirkungen einer toxischen Substanz litten.

Online-Spielsucht in WHO-Katalog

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte im Juni die Online-Spielsucht in ihren Katalog der Krankheiten aufgenommen. Zu den darin beschriebenen Symptomen gehört, dass ein Mensch alle anderen Aspekte des Lebens dem Online-Spielen unterordnet und trotz negativer Konsequenzen weitermacht, und dies über einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten. Kritiker fürchten allerdings, dass Menschen, die viel online spielen, fälschlich als therapiebedürftig eingestuft werden könnten - oder dass sie eher wegen anderer Probleme wie einer Depression oder sozialen Angststörung behandelt werden müssten.

Die Internetbezogenen Störungen sind Thema eines Kongresses von Suchtforschern von Montag an in Hamburg. Die 600 Teilnehmer wollen über Möglichkeiten der Prävention und Therapie diskutieren. Als Kongresspräsident hat Thomasius eine klare Forderung an die Politik: Die Behandlungsmöglichkeiten für Computerspiel- und Social-Media-süchtige Kinder und Jugendliche müssten ausgebaut werden.

Kommentare