Wenn Kinder vom Netz gefesselt sind
Das Smartphone ist ein ständiger Begleiter. Jugendliche tragen den kleinen Computer überall bei sich und sind so immer online. Das kann gefährlich werden, warnt Michael Musalek vom Anton-Proksch-Institut: "Rund 80.000 junge Menschen sind onlinesüchtig", schätzt er.
"Ist ein Kind nur noch online, steckt dahinter oft eine psychische Störung wie Depression oder Schulangst", meint der Suchtexperte. "Verbote bringen deshalb nichts. Im Gegenteil: Eltern verlieren so den Zugang. Ist ein Jugendlicher süchtig, sollten sich Eltern professionelle Hilfe holen – je früher desto besser. Denn nur ein Psychologe bzw. Psychiater kann die Diagnose stellen und die Online-Sucht therapieren. Zum Glück sind die Erfolgsaussichten bei dieser Suchtform besonders groß."
Erfolg durch Gruppentherapien
Der Psychiater Kurosch Yazdi vom Linzer Wagner-Jauregg-Spital behandelt betroffene Jugendliche – so sie das wollen. Denn: "In 90 Prozent der Fälle schleppen Eltern die Kinder zu uns, ohne dass sie dazu bereit sind. Da können wir wenig ausrichten." Wo der Leidensdruck groß genug ist und Jugendliche Hilfe wollen, werden Gesprächstherapien angeboten. Am besten funktionieren Gruppentherapien, weil Jugendliche von Jugendlichen am besten lernen. "Nur dort, wo eine massive psychische Störung die Ursache ist, werden manchmal Medikamente eingesetzt", erläutert Yazdi, der ein Buch über Verhaltenssüchte geschrieben hat ( "Junkies wie wir", edition A, 19,95 €).
Doch woran erkennen Eltern, dass aus dem normalen Spiel Sucht wurde? "Es gibt sechs Kriterien, die auf eine Sucht hinweisen, das gilt für Alkoholismus genauso wie für Online-Sucht. Treffen drei davon zu, ist ein Kind abhängig." Musalek kennt die Merkmale:
- Verlangen Ein kontinuierlicher und unbezwingbarer Drang, online zu sein.
- Immer mehr Der Süchtige muss die Dosis ständig steigern.
- Kontrollverlust "Wir haben Jugendliche erlebt, die sich z.B. vornehmen, zwei Stunden zu spielen, dann vier oder sogar 48 Stunden vor dem Bildschirm saßen", berichtet Musalek aus der Praxis.
- Entzugserscheinungen Wenn ein Jugendlicher offline ist, wird er gereizt oder bekommt Angstzustände.
- Vernachlässigen Obwohl er merkt, dass die Sucht zu Problemen in der Schule und in der Familien führt, verändert er sein Verhalten nicht.
- Zentrierung Das ganze Leben dreht sich nur ums Internet. Sport oder Treffen mit Freunden werden abgesagt.
Die gute Nachricht: Eltern können helfen, dass Kinder erst gar nicht süchtig werden: "Der Nachwuchs muss von klein auf lernen, wie man mit dem Internet umgeht. Väter und Mütter sollten deshalb mit ihren Kindern über Nutzen und Gefahren des Internets reden. Und es anfangs begleiten, wenn es sich in die virtuelle Welt begibt. "
Wichtig sei, dass man fixe Online-Zeiten vereinbart. Musalek warnt besonders vor Rollenspielen wie World of Warcraft, die dazu verleiten, permanent online zu sein, um den nächsten Level zu erreichen. Denn: "Wer zu lange spielt, wird süchtig", sagt Yazdi. Er warnt allerdings davor, einzelne Spiele schlecht zu machen: "Das Kind fühlt sich sonst abgewertet. Besser ist es, die Beziehung zu fördern, indem man sich für das interessiert, was das Kind macht und Verständnis zeigt, dass es bestimmte Spiele mag." Das heißt noch lange nicht, dass man die Sucht unterstützten soll: "Bestehen Sie z.B. auf fixe Essenszeiten. Wer Kindern das Essen ins Zimmer bringt, verstärkt die Sucht."
Ist Ihr Kind internetsüchtig? Hier geht's zum Test.
Helpline des Berufsverbands österr. Psychologen: 01/504 8000, kostenlos, Mo. bis Do. 9-13 Uhr, www.boep.at
Rat auf Draht: 147 (ohne Vorwahl), kostenlos und rund um die Uhr, www.rataufdraht.at
ökids (Österr. Gesellschaft für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie): www.oekids.at, Hotline: 01/958 12 40
Saferinternet: Häufig gestellte Fragen und Antworten sowie weitere Adressen von Informationsstellen. www.saferinternet.at
Mobbing, Schlägereien, Sexting – selbst aufgenommene Handyfilme haben einen schlechten Ruf. Oft werden sie mit gewalttätigen oder sexuellen Inhalten in Verbindung gebracht. Das entspricht nicht immer der Realität, sagt Ethnologin Ute Holfelder. Gewalt komme vor und dürfe nicht kleingeredet werden – sie betrifft aber nur einen kleinen Teil der Videos, meint die Expertin vom Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft in Zürich.
Sport-Analyse
Gemeinsam mit Kollege Christian Ritter befragte sie Jugendliche auf der Straße, wie sie Handykameras nutzen, und wertete 300 Videos aus. Überraschend war für sie, wie vielfältig und kreativ Teenager mit der Kamera-Funktion ihren Alltag festhalten: von Katzenvideos bis Sportaufnahmen mit künstlerischer Kameraführung.
Apropos Sport. Wer sich etwa beim Snowboarden filmt, nutzt die Videos, um sich zu verbessern, erklärt Holfelder. Neben Selbstoptimierung geht es auch um Selbstdarstellung: "Manche sehen die Filme als Pokal, den sie bei sich tragen und herzeigen können." Das gilt ebenso für Mitschnitte von Konzerten. "Sie wollen beweisen, dass sie live dabei waren. Das ist wie eine Art Autogramm."
Gemeinsame Erinnerungen
Ihre Videos tauschen die befragten Jugendliche meist im Freundeskreis aus – nicht über öffentliche Kanäle wie YouTube oder Facebook, sondern über Nachrichtendienste wie WhatsApp. Diese Nutzung im kleinen Kreis sei Jugendlichen sehr wichtig, betont Holfelder. "Die Filme schaffen Gemeinschaft. Viele sagen, sie würden sich die Videos mit Freunden ansehen, darüber reden und sich immer wieder gemeinsam an lustige Erlebnisse erinnern."
Über das schlechte Image von Handyfilmen zeigten sich die jungen Nutzer empört: "Sie hatten das Gefühl, Erwachsene werfen ihnen vor, nur Blödsinn zu machen. Vielen ist sehr wohl bewusst, dass sie beim Verschicken Negatives anrichten können."
Buchtipp: U. Holfelder & C. Ritter: Handyfilme als Jugendkultur, UVK, 19,99 €
Sandra Lumetsberger
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