Das Geheimnis des Zoos aus Glas

Qualle aus Glas
Im 19. Jahrhundert fertigten böhmische Glasbläser fragile Glas-Meerestiere, die jetzt ins Museum kommen.

1890 war die Kunde von der Kunstfertigkeit der beiden Herrn Blaschka bis über den großen Teich gedrungen. Die Harvard University bot Vater Leopold und Sohn Rudolf gar einen Exklusiv-Vertrag an. Inhalt: Die böhmischen Glasbläser sollte ab sofort nur noch für die US-Uni arbeiten. Sie nahmen an. Und so kommt es, dass heute fast 200.000 Besucher pro Jahr ins dortige Naturkundemuseum pilgern, um die einzigartigen Kunstwerken zu bewundern, die unfassbar naturgetreu sind. Etwa 4400 Modelle aus Glas von 800 verschiedenen Pflanzenarten umfasst die dortige Sammlung, zwei Drittel davon werden in der ständigen Ausstellung gezeigt.

In Europa waren die beiden Blaschka durch ihre Anemonen, Schnecken und Quallen berühmt geworden. Die marinen Tiere sind der weit kleinere Teil ihres Schaffens und über ganz Europa verstreut. Eine der größten Sammlungen gläserner Meerestier-Modelle besitzt die Universität Wien. 45 ihrer 145 Glastiere sind ab heute als Dauerleihgabe im Naturhistorischen Museum Wien (NHM) zu sehen.

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Spaghettiwurm Terebella conchilega

Eigentlich seien die Tiermodelle – weil seltener – kostbarer als die Pflanzenmodelle aus den USA, erzählt Claudia Feigl, Sammlungsbeauftragte der Uni Wien. "Von dem Augenblick an, da sie den Exklusiv-Vertrag mit Harvard hatten, haben die beiden kein einziges Tier mehr herstellt."

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Renilla muelleri Seestiefmütterchen

Egal, ob Pflanze oder Tier: "Wie Vater und Sohn Blaschka ihre Glasmodelle herstellten, ist bis heute nicht restlos geklärt", sagt Feigl. Leopold wurde in eine böhmische Glasbläserfamilie hineingeboren. Sein Schaffen basierte auf dem Wissen vielen Generationen, das aber streng gehütet wurde. Feigl: "Er bildete im Laufe seines Lebens nur einen einzigen Lehrling aus – seine Sohn Rudolf. Weil der kinderlos starb und das Know-how nicht aufgeschrieben wurde, ging es verloren."

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Aurelia aurita Ohrenqualle

Großer Bedarf

Gemeinsam gingen Vater und Sohn ab 1870 daran, Glasaugen für Tierpräparate und medizinische Zwecke, aber auch Modelle wirbelloser Meerestiere für naturhistorische Museen und Unterrichtsanstalten zu erzeugen.

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Blaue Ozeanschnecke Glaucus atlanticus

Dafür gab es Bedarf: In Alkohol konserviert verloren Seeanemonen, Quallen oder Tintenfische schnell an Form und Farbe, wodurch auch das Studium stark litt. Die von Blaschka in Handarbeit hergestellten Glasmodelle waren eine ideale, dreidimensionale Entsprechung.

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Staatsqualle

Dafür musste aber die Qualität stimmen. Sie schafften also ein Aquarium an, um Quallen, Schnecken und Tintenfische zu studieren. Die lebenden Vorbilder für ihre Arbeit bekamen sie von der zoologischen Station in Triest, die von Karl Claus von der Universität Wien gegründet worden war. Claus und Blaschka hatten eine Abmachung: Glasmodelle im Tausch gegen lebende Tiere. Anemonen, Schnecken, Quallen kamen, verpackt in großen Tanks – per Zug nach Dresden.

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Janus sanguineus Marine Nacktschnecke

Maßstab 1:100

In der dortigen Werkstatt entstanden dann fragile Wunderwerke wie das Modell des nur 1 mm großen Sonnentierchens, eines kugelförmigen Einzellers. Das gläserne Kunstwerk wurde im Maßstab 1:100 gefertigt und hat Dutzende zentimeterlange Fortsätze, die wie feine Nadeln aus dem zerbrechlichen Gerüst herausragen.

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Hydromeduse Carmarina hastata

"In den USA hat man versucht, die Glasmodelle nachzubilden, es aber nicht geschafft", erzählt Feigl. "Denn Vater und Sohn haben ein großes Geheimnis um die Glaszusammensetzung gemacht und viele Materialien verwendet – Draht, Pappmaché, Gelatine, Leim. Jede Qualle, jeder Tintenfisch wurde so einzigartig."

Längst sind die Modelle aus den Hörsälen verschwunden, halten aber heute ins Museum Einzug: Um 19 Uhr werden die Blaschka-Vitrinen im Naturhistorischen Museum Wien eröffnet. Nähere Informationen: www. nhm-wien.ac.at

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Chrysaora Mediterranea Kompassqualle

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