Die überforderten Alleskönner

Immer mehr, immer schneller und das gleich: Forscher entlarven das Allesgleichzeitigmachen als Schmäh.
Wer’s kann, tut es nicht, das beweist eine neue US-Studie zweier Psychologen.

Konzentrierte Stille im Büro. Zwei Menschen sitzen an ihrem Arbeitsplatz, der eine liest etwas, der andere schreibt etwas. Nur das. Keiner schaut auf sein Handy, checkt eMails, zwitschert oder postet irgendwas nebenbei. Was vor wenigen Jahren noch ganz normal war, schaut heute einfach nicht mehr nach Arbeit aus. Das moderne Universalgenie in einer verteufelt komplexen Multimediawelt werkt immer parallel, auf mehreren Baustellen, weil sein Typ in der Arbeitswelt gefragt ist.

Neue Studie

Nun kratzen zwei US-Psychologen am Mythos vom produktivitätssteigernden und supereffizienten Multitasker. David Sanbonmatsu und David Strayer von der Universität von Utah arbeiten seit Jahren an diesem einen Forschungsgegenstand, sie sind also offenbar keine Multitasker. Bekannt wurden ihre Studien über die Fehleranfälligkeit von telefonierenden Autofahrern.

Nach ihren Untersuchungen erhöht Telefonieren das Risiko eines Unfalls um das Vierfache, genau so, als hätte man 0,8 Promille im Blut, egal ob mit oder ohne Freisprechanlage im Auto. Ein Fall von Selbstüberschätzung. „Unsere Daten zeigen, dass die, die sich für die besten Multitasker halten, dafür am wenigsten geeignet sind“, sagt Psychologe Sanbonmatsu.

Für ihre aktuelle Multitasking-Studie haben Strayer und Sanbonmatsu 310 Psychologie-Studenten eine Reihe von Tests absolvieren lassen. Das Ergebnis: Selbstwahrnehmung und Realität klaffen deutlich auseinander. Jene Testpersonen – gut ein Viertel der Studenten –, die tatsächlich mehrgleisig fahren können, tun es in der Regel nicht. Begründung: Diese Menschen konzentrieren sich lieber auf eine einzige Aufgabe.

Umgekehrt leiden jene 70 Prozent der Studien-Teilnehmer, die sich als Multitasker einstufen, an Selbstüberschätzung. „Ein Grund, warum Menschen mehrere Dinge gleichzeitig tun, ist, dass sie selber glauben, es besonders gut zu können“, sagt David Sanbonmatsu. Weiteres Ergebnis: Impulsive, fahrige Menschen, denen schnell langweilig wird, neigen eher zum Multitasking. Diesen Testpersonen fällt es generell schwer, sich lange Zeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren.

Aus der Hirnforschung weiß man, dass Multitasking ungesund ist. Maximal zwei anspruchsvolle Aufgaben können vom Gehirn gleichzeitig bewältigt werden. Das bedeutet: Sobald unser Großhirn zwei Aufgaben abarbeiten muss, laufen die Prozesse zwangsläufig parallel. Dabei teilen sich die beiden Hirnhälften die kognitive Arbeit auf.

Die linke Hälfte des Stirnlappens erledigt die erste Aufgabe, die rechte Hälfte die zweite. Mehr als zwei Hälften gibt es nicht. „Wir erkennen eine Kapazitätsgrenze, die den Menschen stark einschränkt“, sagt Etienne Koechlin von der Ecole Normale Supérieure in Paris, der die entsprechende Studie gemacht hat.

Nur zwei Aufgaben? In der Praxis wird man nicht nur Auto fahren und telefonieren, sondern auch bremsen, Hindernissen ausweichen, Abstand halten, nachdenken und sprechen.

Mit anderen Worten: Zu viel ist zu viel.

KURIER: Psychologen haben nachgewiesen, dass Verfechter des Multitaskings ihre diesbezüglichen Leistungen völlig überschätzen. Was sagt der Hirnforscher dazu?

Sandkühler: Das Gehirn ist ein Meister im Multitasking – es kann gleichzeitig verdauen, den Blutdruck und die Körpertemperatur regulieren ...

... lauter unwillkürliche Reaktionen ...

... genau. Bei den Dingen, die wir bewusst steuern, z. B. unsere Aufmerksamkeit, hört die Multitasking-Fähigkeit unseres Gehirns auf. Das, was wir als Multitasking erleben, ist das rasche Hin- und Herschalten zwischen verschieden Aufgaben.

Multitasking ist eine Illusion?

Es gibt durchaus Leute, die Wartezeiten, die bei Aufgaben entstehen, besonders effizient für andere Tätigkeiten nutzen. Das heißt, wer sehr gut strukturiert ist und gleichzeitig zu erledigende Aufgaben gut beherrscht, kann die Zeit optimal nutzen. Viele Menschen wechseln ihre Aufgaben aber nicht, weil Wartezeiten entstanden sind. Sie wechseln, weil ihnen die Lust an der Aufgabe vergangen ist und sie sich nicht mehr konzentrieren können, weil die Motivation fehlt. Sie springen, obwohl sachlich kein Grund dafür vorhanden ist. Das sind keine guten Multitasker, sondern unkonzentrierte, zerfahrene Low-Performer.

Verlangt der Zeitgeist, alles gleichzeitig tun zu können?

Der Zeitgeist geht in Richtung Leistung. Jemand, der in derselben Zeit mehrere Dinge gut bewältigt, wird möglicherweise bewundert. Doch um Helmut Kohl zu zitieren: „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“

Das Zauberwort unserer Zeit heißt nicht Kompetenz, sondern Multitasking – die Fähigkeit, mit mehr oder weniger Kompetenz viele Dinge zugleich zu erledigen.

Mit weniger Kompetenz, belegt jetzt eine US-Studie. Man fand heraus, dass Menschen, die sich für große Multitasker halten, es am wenigsten beherrschen; und dass jene wenigen, die die Fähigkeit zum Viel-auf-Einmal hätten, sich lieber auf eine Sache konzentrieren.

In Wahrheit hätte es die Studie nicht gebraucht. Tägliche Fallbeispiele zeigen uns, dass Autofahrer mit dem Handy am Ohr meist lebensgefährlich über die Straßen duseln; dass Politiker und/oder Haider-Jünglinge, die neben ihrem rechten Job noch linke Dinge drehen wollen, am Ende an beidem scheitern; und dass Rekruten, die 1,4 Promille im Blut verarbeiten müssen und gleichzeitig ihren Vorgesetzten auf dem Dach suchen, in Kamine stürzen.

Drum eins nach dem anderen, bitte! Obwohl: Die Dachsuche ist ja, Wehrpflicht hin oder her, eher keine originäre Rekruten-Kompetenz.

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